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Champagnerwillich: Roman

Champagnerwillich: Roman

Titel: Champagnerwillich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Möller
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dessen liebster Grund, um jemandem abzusagen, lautet: »Äi, echt sorry. Aber ich brauche schon wieder neue Scheibenbremsen für meinen Porsche.«
    Zwei Stunden später flitzt mein kleiner Smart um die letzte Kurve. Vor meinem Elternhaus spielt sich gerade Die Höhle des Schreckens Teil   1 ab. Meine Eltern begrüßen den schnieken Tanguy und seine bezaubernde Frau, indem sie wild die Arme durch die Luft wirbeln und Küsse verteilen. Indirahat kurze braune Haare, stahlblaue Augen und ein besänftigendes Lächeln. Ihr weißes Sommerkleid umspielt ihren fettfreien Körper wie textiles Wasser, und sie ist so charmant, dass einem das Leben in ihrer Nähe vorkommt wie süßer Schokoladenpudding mit heißer Karamellsoße. Dummerweise habe ich sie sehr gern, was ein ungewohnt positives und damit strikt zu vermeidendes Licht auf meinen Bruder wirft.
    »Ach, Jillilein. Da bist du ja endlich.« Meine Mutter hat mich entdeckt und stürzt mit der ganzen Mischpoke auf mein Auto zu. O Gott, bitte mach, dass sie meinem Smart nichts antun. Ich habe ernsthafte Bedenken, dass sie ihn einfach umrennen und dabei in den Starnberger See stürzen. Habe ich eigentlich die Versicherungsbeiträge regelmäßig bezahlt?
    »Du bist wohl nicht zeitig losgefahren?«
    »Es tut mir Leid, aber …« Aber Luisa konnte ihren dunkelroten Nagellack nicht schneller finden.
    »Mein Gott, Jil. Dass deine Pappschachtel auf vier Rädern es bis an den Starnberger See geschafft hat, ist wirklich ein Wunder.« Tanguy blickt selbstverliebt über Indira hinweg zu seinem Porsche.
    »Und du siehst schrecklich aus, Kind. Wahrscheinlich arbeitest du zu viel.«
    Schön wär’s.
    »Ach Marlene. Jetzt lass das Kind doch erst mal aussteigen.« Mein Vater, Richard Schöneberg, hat Erbarmen mit mir. Erstaunlich, dass er sich mit dem Alter kein bisschen verändert, obwohl er schon auf die 60 zugeht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er in hohem Maße sorgfältig und in höchstem Maße anspruchsvoll ist. Zwei Eigenschaften, die scheinbar der Vererbung trotzen. Sonntagmorgens benutzt er heimlich die Nachtcreme meiner Mutter, sitzt in Anzug und Krawatte beim Frühstück und streift nach jedemUmblättern liebevoll mit seiner Hand über den mittleren Knick in der Zeitung.
    Er hat das größte Herz der Welt.
    Vor allem für mich.
    Wenn wir uns streiten, tut es mir meist, noch bevor mein Vater wütend aus dem Zimmer stapft, Leid, weil ich weiß, dass er sich immer nur bemüht, das Richtige zu tun. Probleme macht einzig die Definition von »das Richtige«.
    Kaum sitzen wir am vier Meter langen Kieferntisch im Esszimmer meiner Eltern, welches einer Werbekampagne von Laura Ashley täuschend nahe kommt, und reichen uns Spargel und Kartoffeln, befinde ich mich in Die Höhle des Schreckens Teil 2 . Habe ungeschickterweise einen Spargel und zwei Kartoffeln so auf meinem Teller platziert, dass man, na ja, wie automatisch an fulminante Männlichkeit denken muss. Tanguys Blick wandert auf meinen Teller. Er lacht sich tot. Scheint noch nicht über die Pubertät hinweg zu sein. Mein Bruder zwinkert mir zu, wie es nur Idioten tun, und konstatiert: »Weißt du, Jil. Unerfüllte Fantasien machen sich oft unbewusst bemerkbar.«
    Danke, Doktor Freud.
    Jetzt starren alle auf meinen Teller.
    Mein Vater tupft sich nervös mit einer Serviette über den sauberen Mund, und meine Mutter ergreift energisch meine Partei: »Ach Tanguy, jetzt hör auf. Wir müssen Jil nicht immer vorhalten, dass sie mit 29 Jahren immer noch nicht verheiratet ist. Dafür macht sie eine tolle Karriere. Wie heißt noch mal die Firma, bei der du arbeitest?«
    Leider kann ich nicht antworten, weil ich gerade den Kopf vom Spargel abbeiße, was Tanguy in körperliche Verkrümmungen versetzt.
    Später gibt es dann noch Eis mit Eitelkeiten über Jils Lebensweise.
    Käse mit Kritik an Jils Wohngemeinschaft.
    Fotoalben mit Frivolem über Jils Kindheit.
    Gartenbetrachtung mit Genugtuung über das polierte Leben der anderen Familienmitglieder.
    Und dann noch mal Kaffee mit Klatsch über Jils lustigste Missgeschicke.
    »Ich glaube, wir müssen jetzt langsam mal aufbrechen.«
    Ja, danke!
    Wie hypnotisiert hänge ich an Indiras Lippen und kann es kaum glauben, dass tatsächlich jemand den erlösenden Satz ausgesprochen hat, nachdem ich die letzten dreieinhalb Stunden damit verbracht habe, aus dem Fenster auf meinen Smart zu starren und mir vorzustellen, wie unglaublich es sein wird, wenn ich endlich wieder in mein Leben zurückfahren

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