Champagnerwillich: Roman
und meine MUTTER steht vor der Tür! Fühle mich plötzlich, als wäre ich wieder 13 Jahre alt und wäre beim Schuleschwänzen erwischt worden. Ihr kritischer Blick verrät mir, dass meine Mutter gerade das Gleiche denkt.
»Ach Gott, mein Kind. Was machst du denn für Sachen? Geht es dir nicht gut?«
»Was denn für Sachen? Und warum soll es mir nicht gut gehen?«
»Aber Jil, ich meine deine Verhandlung gestern.«
Woher weiß sie das?
»Tanguy hat es durch Zufall von einem Kollegen erfahren und …«
Und es dir mit Freuden erzählt. Mein Bruder ist mal wieder höchst einfühlsam!
»Und dann habe ich bei dir im Büro angerufen, aber man sagte mir, dass du heute nicht zur Arbeit kommen würdest.«
O Gott! Meine Mutter hat im Büro angerufen! Ich vermute, es gibt wohl kaum etwas Peinlicheres.
»Aber mach dir keine Sorgen. Ich habe ihnen gesagt, dass du gestern wegen dieser Anklage vor Gericht gestanden hast und dich deswegen sicher etwas ausruhen müsstest.«
Ich ziehe meine Vermutung zurück! Ich hatte meinen Arzt von einem Attest und Herrn Besörski von einer bösen Magen-Darm-Verstimmung überzeugt. Herrje. Wie komme ich aus der Nummer wieder heraus?
»Und jetzt bin ich hier, um mich ein bisschen um dich zu kümmern. Komm, ich mach uns erst mal einen heißen Kakao.« Meine Mutter rauscht an mir vorbei und bahnt sich ihren Weg in Richtung Küche. Wie von einem Hurrikan überrumpelt, bleibe ich im Türrahmen stehen, kneife mein Gesicht zusammen und warte auf ihren Schrei.
»Ach, du gute Güte!«, erschallt es aus der Küche. Meine Mutter hat soeben die leeren Champagner-, Tequila- und Averna-Flaschen untermalt von einem Berg zerquetschter Zigarettenstummel und dem Geschirr der letzten Woche entdeckt. Ein wunderschönes Stillleben voller Erinnerungen für mich, ein Bakterienherd mit Schimmelbefall und Schmutzrändern für meine Mutter. Wortlos zieht sie eine bunt gestreifte Schürze aus ihrer Handtasche, schnürt sie um und beginnt damit, einzelne Geschirrberge aufzuschichten.
»Mama! Du musst wirklich nicht …«
»… keine Widerrede! Und du gehst jetzt duschen und ziehst dir etwas an.«
Nachdem ich einige Wortgefechte mit dem Badezimmerspiegel über meine Mutter hinter mich gebracht habe, komme ich frisch geduscht und angezogen in eine blitzblankeKüche, während meine Mutter hektisch mit einem Blumentopf durch die Wohnung läuft. Mein schräger Blick wird mit Verständnislosigkeit bestraft.
»Aber Jil, das ist ein Bonsai. Der braucht viel Licht. Ich werde ihn im Wohnzimmer ans Fenster stellen.«
»Wie du meinst.« Resigniert öffne ich den Küchenschrank, um frischen Kaffee zu machen.
Aber was ist das?
Wo ist denn die Kaffeedose hin? Und die Tassen und meine Gewürzsammlung? Fassungslos reiße ich den nächsten Küchenschrank auf. Warum stehen denn jetzt die Teller neben den Gläsern, und wo ist das Besteck? Ich kann es nicht glauben.
»Mama!«
»Was denn, mein Schatz?« Meine Mutter kommt in die Küche und sieht meine verzweifelten Blicke durch die Schränke wandern.
»Ach so. Das meinst du, Liebes. Ich habe die Sachen nach dem Alphabet sortiert. Das ist doch viel übersichtlicher, nicht wahr?«
»Ja, sicher, wenn du meinst. Wo steht denn jetzt der Kaffee?«
»Na neben den Keksen und den Kidneybohnen oben im Regal. Du solltest übrigens kein Gemüse aus Dosen essen. Frisches ist viel gesünder.«
Okay, werde versuchen, einfach nicht hinzuhören, und meine ganze Energie aufs Kaffeekochen konzentrieren. Mir waren Schlagzeilen wie »Tochter erwürgt Mutter im Affekt« bis jetzt eigentlich immer sehr befremdlich gewesen.
»Oh, nein, nein, nein. Das ist doch viel zu viel Pulver. Lass mich das machen.« Schwups greift meine Mutter nach dem Kaffeefilter, nimmt ihn aus der Maschine und lässt ihn in den Mülleimer plumpsen.
Leite meine Energie also weg vom Kaffeekochen hin zum Tassensuchen. In meiner neuen, alphabetisch sortierten Küche!
Oje! Einen ganzen langen Kaffee mit meiner Mutter trinken. Das ist schlimmer, als den Sommerschlussverkauf bei Tod’s zu verpassen. Ach, was rede ich? Nichts ist schlimmer, als den Sommerschlussverkauf bei Tod’s zu verpassen.
»Tja, Jillilein. Was gibt’s denn Neues?«
»Nichts.«
»Und wie läuft es mit der Arbeit?«
»Gut.« Falls Herr Besörski nicht gerade meine Kündigung unterschreibt.
»Also, weißt du, Tanguy überlegt ja gerade, eine Zweigstelle seiner Firma in Hamburg zu eröffnen …«
»Ähä.« Sehr spannend! Ob das schwarze
Weitere Kostenlose Bücher