Champagnerwillich: Roman
»DANKE, lieber Gott!«, und ziehe meinen Anwalt und Luisa in den Saal.
Sehr fulminant, kann ich da nur sagen. Der Stuhl des Richters hat die Größe eines Müllcontainers, und die gigantischen Fenster und die verschnörkelten Tisch- und Stuhlkanten lassen mich vor Ehrfurcht erstarren. Es würde mich nicht wundern, wenn sie gleich noch einen roten Teppich für den Richter ausrollen würden. Von der imaginären Macht des Raumes erdrückt, lasse ich mich auf meinen unbequemen Holzstuhl fallen. Im nächsten Moment betritt der Richter mit seinem Gefolge den Gerichtssaal, und eine kraftvolle Stimme lässt mich hochschrecken.
»Bitte erheben Sie sich. Richter NATHAN SCHMIDT.«
Ich kann es nicht glauben! Ich muss träumen! Wahrscheinlich bin ich im Alkoholrausch zusammengebrochen und habe jetzt einen dieser unglaublich realistischen Träume.
Kann mich nur leider dummerweise daran erinnern, wie ich heute Morgen aufgestanden bin. Mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst habe, dass der Stuhl unter mir zu vibrieren anfängt. Vor mir steht ein mykonosgebräunter Richter namens Nathan Schmidt. Mein Nathan Schmidt! Gedankenfetzen schwirren mir durch den Kopf. Rebeccas Party, er sagte, er wäre Jurist, die Gesetzbücher … Wie konnte ich davon ausgehen, dass Nathan Anwalt ist, wo er doch nie über seine Arbeit sprach?
Ich versuche, die schwarze Robe vor mir anzulächeln, doch Nathans Miene ist geradezu erstarrt.
Na bravo, Jil! Willkommen in deinem Leben. Nervös kratze ich mit meinen frisch lackierten Fingernägeln über den Holztisch vor mir und schwöre, wenn ich den erwische, der das Schicksal erfunden hat, der kann was erleben!
Etliche Kratzer im Tisch und die gigantomanische Darbietung meiner brutalen Straftat durch Ursula Granada später werde ich in den Zeugenstand gebeten. Auf dem Weg dorthin frage ich mich, ob ich mir über die Schweißausbrüche meines Anwalts und das erhabene Lächeln meiner Klägerin ernsthaft Sorgen machen sollte.
Ach was. Es wird sich alles aufklären, wenn ich jetzt gleich mit Nathan rede. Er kennt mich und weiß, dass ich ein pflichtbewusster und friedliebender Bürger bin. Und er wird doch seinen verletzten Stolz nicht über das Gesetz stellen.
»Frau Schöneberg. Sind Sie sich überhaupt darüber bewusst, was für eine GRAUSAME Tat Sie da begangenhaben?« Andererseits sollte man den männlichen Stolz nie unterschätzen.
»Ich war doch nur etwas erregt, weil Frau Granada einen Vertragsbruch begehen wollte.«
»Das gibt Ihnen wohl nicht das Recht, derart außer Kontrolle zu geraten.«
Und wer gibt dir das Recht, so mit mir zu sprechen? Ich hasse die Justiz.
»Frau Granada hat mich einen Kartoffelsack genannt und dass ich in ihrer exklusiven Branche ja sowieso keine Chance hätte.«
»Aber Frau Granada ist ein erfahrenes Model. Wahrscheinlich wollte sie Sie damit nur auf die Realität hinweisen.«
Jetzt platze ich aber gleich vor Wut! Noch ehe ich Nathan mit seinem Mikrowellensex, seinen beigen Bundfaltenhosen und seinen schnöseligen weißen Slippern (ich bin mir sicher, dass er sie auch unter der Robe trägt) aufs Tiefste beleidigen will, springt mein Anwalt auf und bittet um eine Pause.
Eine Pause?
Sind wir hier beim Baseball?
Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Der Hammer fliegt auf den Tisch, und einer Pause wird stattgegeben.
Auf dem Flur erzählt mir mein Anwalt, es sehe nicht gut aus. Er könnte das Verhalten des Richters selbst nicht verstehen, aber ich müsste unbedingt die Ruhe bewahren, sonst würde ich nicht nur wegen Körperverletzung, sondern auch noch wegen Justizbeleidigung verurteilt werden, und dann steckten wir in ernsthaften Schwulitäten.
Na wunderbar. Ich sehe mich schon im Knast. Sollte ich aus dieser Sache irgendwie wieder herauskommen, werdeich in Zukunft einen großen Bogen um alle Männer machen, die in irgendeiner Weise das Gesetz hüten. Aber vielleicht kann ich im Gefängnis ja für die Frauenbodybuildermeisterschaften trainieren oder an einer Verlegung in die Psychiatrie arbeiten.
Die nächsten dreißig Minuten der Verhandlung gehen an mir vorüber wie in Trance. Ich höre phasenweise irgendwelche Augenzeugen von meiner grausamen Tat berichten und immer wieder ein Raunen unter den Anwesenden, untermalt von einem nervösen Zähneknirschen meines Anwalts. Wahrscheinlich werden gerade körpereigene Drogen in mir freigesetzt, wie bei einem schweren Unfall oder im Schockzustand. Beginne, den Zustand zu genießen, als Nathan mich plötzlich aus
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