Champagnerwillich: Roman
Meine Güte, meine Stimme hört sich an, als wäre ich wieder vierzehn!
Ben blickt auf seine Uhr. »Darf ich Sie vielleicht zu einem Kaffee einladen?«
Zu einem Kaffee, zum Elefantenpolo, zu einer Kreuzfahrt ans Ende der Welt, was immer Sie wollen. O nein, da fällt mir ein, ich kann ja gar nicht.
»Es tut mir Leid, aber ich muss noch zu einem Castingtermin.«
»Ich verstehe. Ich möchte Sie nicht aufhalten. Auf Wiedersehen, Jil. Vielleicht ein anderes Mal. Sie stürzen mir ja anscheinend öfter in die Arme.«
Ben blickt mich für einen Moment an. Dann dreht er sich um und geht.
Nein, geh noch nicht!
Bitte geh noch nicht!
Tu etwas, Jil. Nu mach schon!
Du weißt doch, man soll sein Fatum nicht verärgern.
Außerdem sollte ich diese Männerdiät langsam mal beenden. Ich habe zwei Wochen durchgehalten und dabei vierzehn Tage verloren!
»Ich werde nicht mehr stürzen«, platzt es aus mir heraus.
Ben dreht sich zu mir um.
Danke. Danke. Danke.
»Ich denke, das sollte ich mir abgewöhnen«, füge ich noch hinzu und ziehe eine Visitenkarte aus meiner Handtasche.
Ben kommt zurück, und ich überreiche ihm die Karte. Sanft ergreift er sie und berührt dabei meine Hand.
Mir wird schwindelig.
Wir blicken uns in die Augen.
Ein Zug fährt in den Bahnhof.
Fahrgäste steigen aus und rauschen an uns vorbei.
Kinder schreien.
Lautsprecherdurchsagen ertönen.
Der Wind fegt über die Bahnsteige.
»Bis dann.« Ich löse mich von seinem Blick und meiner Visitenkarte.
Gut! Der Mann meiner Träume hat meine Visitenkarte. Für diesen Moment habe ich gelebt. Jetzt kann ich sterben. Ich drehe mich etwas überschwänglich um und versuche, so kontrolliert wie möglich zu meinem Anschlusszug zu stöckeln.
»Und, wie war’s?« Luisa hüpft mir aufgeregt und hellwach entgegen, obwohl es mittlerweile schon nach Mitternacht ist. Hätte nie gedacht, dass Castings so anstrengend sind. Erschöpft lasse ich mich auf die Couch im Wohnzimmer fallen und antworte ihr mit verschlafenem Blick: »Wie im Traum. Einfach fantastisch!«
»Dann haben dich die Leute vom Casting genommen?« Luisa dreht eine ihrer kurzen, blonden Strähnchen um ihren Finger.
»Casting? Was denn für ein Casting? Ach, du meinst die Singleshow. Also, weißt du, das war doch sehr eigenartig.«
Luisa setzt sich neben mich. »Was ist passiert?«
»Tja, weißt du, die anderen Mädels, die sich da beworben haben, waren alle schlanker, hatten schönere Haare und haben schlauere Dinge gesagt als ich. ›Oh, ja, ich war schon immer so schlank, da hat es die Natur gut mit mir gemeint‹ oder ›Also, in meiner Freizeit arbeite ich als Model‹ oder ›Entschuldigung, aber ich habe den Witz AKUSTISCH nicht verstanden‹ …«
»Mein Gott! Frauen sind zuweilen wirklich einfach nur bescheuert!«
»He?« Erstaunt blicke ich Luisa an, aber sie weicht meinem fragenden Blick aus.
»Und was hast du gesagt?«
»Ja, also ich habe denen erzählt, dass ich im Monat mindestens drei Diäten anfange, so jeweils für anderthalb Tage, dass ich in meiner Freizeit Badezimmerkacheln aussuche, die farblich mit meinem Nagellack harmonieren, und dass ich den Witz des Castingleiters zwar akustisch verstanden hätte, aber gar nicht komisch gefunden habe.«
»Oh.«
»Sie haben mich trotzdem für die Show genommen. Die Redakteurin meinte, ich stelle einen einzigartigen Gegenpol zu den anderen Bewerberinnen dar.«
»Sieh es doch mal so, du bist halt einfach … außergewöhnlich!«
»Ich weiß.«
Gelernte Wörter: affirmativ = zustimmend;
morbiphor = ansteckend;
Fatum = Schicksal.
23
1000 SCHMETTERLINGE SPÄTER!
H err Schnüttge.«
»Frau Schöneberg.«
»Ist Ihnen das auch schon mal passiert, dass Sie dachten, Sie hätten das große Glück gefunden. Aber dann passiert Ihnen etwas, das alles Bisherige in den Schatten stellt, und Sie haben zum ersten Mal das Gefühl, dass das wahre Glück weitaus berauschender ist als alles, was Sie jemals erlebt und gefühlt haben? Dass es Sie in Ihren Bann zieht und nicht wieder loslässt? Und das dieser Zustand unglaublicher ist, als Sie jemals gewagt hätten zu vermuten?«
»Frau Schöneberg, mir scheint, Sie sind verwirrt.«
»Nicht mehr als sonst.«
»Ich denke, wir erhöhen die Therapiestunden doch.«
»Verstehe.«
Was? Wie? Wo? Hat mein Handy geklingelt? Ach, nein. Das war im Fernsehen. Ich werde noch völlig verrückt. Seit drei Tagen lasse ich mein Handy nicht mehr aus den Augen und schrecke bei jedem kleinsten Piep hoch. Gestern
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