Chaos über Diamantia
nacht lieber hierbleiben«, sagte Hauptmann Marriott fürsorglich, als ob er seinem Gast die Wahl ließe.
Bray stimmte zu. Er hatte ein paar Fragen auf Lager, die besser klingen würden, wenn sie von einem Mann kämen, der seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Und sie waren leichter vorzubringen, wenn er es jetzt nicht auf eine Auseinandersetzung ankommen ließ.
Überdies konnte er zu dieser Stunde nichts für Morton tun. Marriotts diamantische Verbündete würden dafür sorgen, daß Morton im Krankenhaus keinen Augenblick unbewacht blieb.
3.
Als Bray am nächsten Morgen zum Frühstück mit Marriott gebeten wurde, bemerkte er, daß der Hauptmann blaß und geistesabwesend aussah.
»Etwas nicht in Ordnung?« fragte Bray höflich, nachdem sie ihre Begrüßung ausgetauscht hatten. Er hatte eine hoffnungsvolle Idee, welches die Ursache von Marriotts Beunruhigung sein mochte: das öffnen der gesicherten Tür von Brays Wagen am Vorabend und die Folgen davon.
»Nein, nein.« Marriott winkte matt ab. »Setzen Sie sich, Leutnant.«
Bray folgte der Aufforderung. Beide schwiegen, während ein Irsk in grün gestreiftem Hemd und weißer Schürze das Frühstück servierte. Mehrere Male schien Marriott zum Sprechen anzusetzen, aber keine Worte kamen. Der Hauptmann blickte geistesabwesend vor sich hin oder zur Wand hinter Brays Rücken, und Bray nützte die Gelegenheit, seinen Gastgeber zu beobachten. Er sah nun, daß Marriott sich in einem unverkennbaren Schockzustand befand.
Bray wurde optimistisch. Vielleicht ergab sich hier eine Möglichkeit zu einem Handel, der Morton die Freiheit wiedergeben würde.
Er begann in nüchternem, neutralem Ton: »Diese Leute gestern abend waren also die friedliebenden Diamantier?«
Das bewog Marriott, sich für einen Moment aufzuraffen. Er sagte: »Gewöhnliche, wohlmeinende Leute, wie man sie auf Diamantia zu Hunderttausenden antreffen kann.«
Gleich darauf kam wieder der kranke Ausdruck in seine Augen.
»Wer sind diese Irsk, mit denen sie Kontakt aufnehmen wollen?« fragte Bray. »Wen repräsentieren sie?«
Der sichtbar beunruhigte Mann ihm gegenüber machte einen neuen Versuch, den Anschein normaler Lebhaftigkeit zu wecken. Nach seiner Darstellung war Verbindung mit einer Gruppe von Irsk aufgenommen worden, deren Angehörige sich als Freunde der Diamantier bekannten. Die Gruppe sei bereit, so hieß es, starke Kräfte gegen die unnachgiebigen Diamantierhasser unter den Irsk zu mobilisieren.
Die ganze Geschichte kam Bray unglaubwürdig vor.
»Sie glauben wirklich, daß Unterhändler der Diamantier unterwegs sind, um irgendwo mit Abgesandten der Irsk zusammenzutreffen?« fragte Bray.
Sein ungläubiger Ton schien Marriott endlich aufzurütteln.
»Selbstverständlich, Leutnant«, sagte er in seinem gewohnten, etwas herablassenden Ton. »Dies sind sehr aufrichtige und wohlmeinende Leute. Die Zusammenkunft sollte übrigens heute früh stattfinden.«
»Dann ist es also schon geschehen? Und alles ist gutgegangen?«
»Nun …« Marriotts Gesicht spiegelte plötzlich Ungewißheit. »Es ist etwas an den Diamantiern«, sagte er schließlich widerwillig, »das sie von anderen Leuten unterscheidet. Sie sind klug und geschickt, sie machen die schönsten Sachen, schreiben die herrlichste Musik, verstehen das Leben und die Frauen und sind außergewöhnlich talentiert, aber …«
»Aber was?«
»Niemand weiß es«, sagte Marriott seufzend.
Darauf wußte Bray nichts mehr zu sagen. Sie aßen schweigend, und Bray begann sich mit einem Problem zu beschäftigen, dem er sich bald gegenübersehen würde. Wenn er zu seinem Wagen ging und entdeckte, daß Morton nicht darin war, wie sollte seine Reaktion aussehen?
Vielleicht war dies der rechte Augenblick für den geplanten Handel. Kurz entschlossen sagte er: »Sir, Sie scheinen sich heute morgen nicht wohl zu fühlen.«
Marriott zögerte, dann faßte er sich, und sein Ausdruck wurde plötzlich der eines Mannes, der zu einer Entscheidung gekommen ist. »Leutnant«, sagte er, »es gibt da etwas, das wir diskutieren sollten. Ihr Wagen …«
Bray erkannte die Ähnlichkeit des Ziels und wartete.
Marriott nahm einen neuen Anlauf und sagte mit fester Stimme: »Im Lauf der üblichen Routineinspektion aller in der Nähe dieses Gebäudes abgestellten Wagen bemerkte einer unserer Leute gestern abend, daß jemand den Körper eines Mannes, der wie ein Toter aussah, in Ihrem Fahrzeug deponiert hatte.«
Bray fragte sich, welche Art von »Routineinspektion«
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