Chaosprinz Band 1
wollen wohl nicht, dass wir uns hier zu wohl fühlen…
Das Klassenzimmer füllt sich langsam. Gut gelaunt und schwatzend begrüßt man sich. Ich beobachte die lachenden Gesichter. Die meisten habe ich wirklich schon auf Martins Party gesehen. Ich muss sofort wieder an Alex und unseren Streit denken… Alex… wo ist der überhaupt?
Ich schaue mich suchend im Raum um. Er steht noch immer bei Dirk und den anderen Jungs. Sie lachen, erzählen sich irgendwas, dann legt Alex seine Hand auf Toms Schulter und deutet ihm an, sie sollten sich nun langsam auch mal hinsetzen. Tom nickt und zusammen steuern sie auf den Tisch direkt neben unserem zu.
»Wir müssen ja schließlich auf dich aufpassen«, grinst Tom mich vielsagend an, als er meinen Blick bemerkt. Alex verdreht nur die Augen, lässt sich schwer auf seinen Stuhl fallen. Na toll, jetzt muss ich nicht nur den halben Tag mit ihm in einem Zimmer verbringen, sondern praktisch auch noch permanent neben ihm sitzen. Gott sei Dank ist da noch dieser schmale Gang, der uns trennt, ansonsten könnte ich das mit der Konzentration wohl gleich vergessen.
Ich zwinge mich, nach vorne zu schauen. Martin kommt keuchend ins Klassenzimmer geeilt. Offensichtlich hat er sich etwas verspätet. Erleichtert geht er auf einen der Tische in der ersten Reihe zu, setzt sich neben einen schmalen Jungen mit einer großen, runden Brille und starker Akne. Sie reden kurz, Martin streift sich seinen Rucksack ab und dreht sich um. Er sieht Lena und mich, hebt grinsend die Hand, wir winken zurück.
»Morgen, Tobi.« Überrascht schaue ich auf. Anja lächelt mich an. Sie und Melanie haben sich an den Tisch direkt vor uns gesetzt. Na super, jetzt darf ich die ganze Zeit ihren blöden Hinterkopf anstarren… Alex neben mir, Anja vor mir… genial! Ich zwinge mich schnell zu einem schmalen Lächeln.
»Hallo.« Meine Begrüßung klingt schwach und dünn.
»Bist du nervös wegen der neuen Schule und so?«
Was soll denn das, ich will keinen Smalltalk mit ihr halten. Kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Doch natürlich antworte ich höflich auf ihre Frage, bin ja schließlich ein lieber Junge…
»Hm, ja, ein bisschen aufgeregt bin ich schon.«
»Musst du nicht, wir sind alle ganz nett, nicht wahr, Melli?« Anja stößt ihre Freundin in die Seite. Melanie nickt lächelnd und dreht sich dann wieder nach vorne. Auch Anja wendet sich wieder der Tafel zu, nicht ohne mir noch einmal zuzuzwinkern. Ich lächle etwas unsicher.
»Oh mein Gott!« Lena flüstert mir mit geschocktem Gesichtsausdruck ins Ohr.
»Was denn?«
»Sie hasst dich!«
» Was? « Wow, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.
»Sie hasst dich!«, wiederholt Lena leise.
»Aber… warum… sie war doch sehr nett…« Verwirrt schaue ich sie an.
»Ja, das, was sie gesagt hat, war nett, aber ihr Blick… ist dir das nicht aufgefallen?«
Ich schüttle langsam den Kopf. Wahrscheinlich bin ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen und damit, mich wie ein anständiger Mensch zu verhalten. Ich betrachte das lange, glatte, braune Haar vor mir, es glänzt und schimmert in den morgendlichen Sonnenstrahlen. Sie ist sehr hübsch.
Melanie beugt sich kichernd zu ihr hinüber, flüstert ihr etwas ins Ohr. Anja nickt und grinst kurz, dann dreht sie sich zur Seite, sie sucht Alex' Blick und lächelt…
Ich traue mich nicht, ihn anzusehen. Will nicht wissen, ob er ihr zuzwinkert, Handküsschen verteilt oder ihr mit Zeichensprache zu verstehen gibt, dass er sie liebt… Gott, ich glaube, ich muss gleich kotzen! Wehe, die beiden missbrauchen mich als stillen Postboten für ihre Liebesbriefchen, dann laufe ich hier Amok, aber ehrlich.
»Glaubst du wirklich, dass sie mich hasst?«, flüstere ich Lena zu, ohne dabei den braunen Hinterkopf aus den Augen zu lassen.
»Hm, so eiskalt wie ihr Blick eben war…«, nuschelt Lena als Antwort.
»Aber warum?« Ja verdammt, warum? Ich meine, ich bin doch echt kein schlechter Mensch, oder?
Lena sieht mir ernst in die Augen. »Mensch, Tobi, denk doch mal nach… Martins Geburtstagsparty, Alex' und dein Streit… Das war doch alles recht offensichtlich, oder?«
Ich schlucke. »Wie meinst du das?«
Sie schüttelt den Kopf und verdreht die Augen. »Du weißt genau, was ich meine…«
Ich will ihr widersprechen, will ihr klarmachen, dass sie da irgendetwas falsch verstanden hat, doch gerade als ich den Mund aufmache, bemerke ich, wie der Geräuschpegel plötzlich auf Null heruntergeschraubt wird.
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