Chaosprinz Band 2
nun ist dieses kleine Wunder vollbracht und ich reiche den Brotkorb herum, damit sich jeder eine Scheibe nehmen kann.
Bettina mustert ihr Gedeck. Neben einer überdimensionalen, giftgrünen Kaffeetasse, deren Ohren man als Henkel benutzen kann, und einem viereckigen, weißen Porzellanteller liegen eine silberne Kuchengabel und ein Fischmesser. In ihrem Kaffee schwimmt ein kleiner Einwegplastiklöffel. Sie scheint nicht zu wissen, wie sie auf diesen Anblick reagieren soll.
»Jeder hat was anderes«, erklärt Emma fröhlich und deutet auf die Gedecke.
»Aha!«, macht ihre Mutter.
»Das sieht lustig aus, gell?« Timmy blickt grinsend in die Runde.
»Und wie.« Ich verteile mit einem großen Fleischermesser Butter auf meiner Brotscheibe. Die anderen sagen nichts. Pa und Bettina werfen sich kurze Blicke zu und sehen dann zu mir. Scheinbar gehen unsere Ansichten, was Erziehung betrifft, etwas auseinander.
»Was habt ihr für den heutigen Tag geplant?«, fragt Pa an Alex gewandt. »Triffst du dich nachher noch mit Anja oder kommt Tom vorbei?«
»Bloß nicht«, zischt Maria, noch ehe Alex antworten kann. Maria hat Tom seine wenig dezenten Annäherungsversuche André gegenüber noch immer nicht verziehen.
»Maria, rede nicht so über die Freundin deines Bruders. Anja ist ein liebes Mädchen, so hübsch, klug und aufmerksam. Und sie weiß, wie man sich zu benehmen hat.« Bettina macht eine bedeutende Pause.
»Anja ist eine falsche, lästernde Schlange«, wirft Maria schnell ein.
»Maria!« Bettina ist empört.
»Das stimmt. Sie hat gesagt, Tobi hätte eine schreckliche Frisur.« Maria nickt bestätigend.
» Was? « Ich starre sie entsetzt an.
»Sie meinte, deine Haare wären zu lang für einen Jungen…«
»Diese kleine Schlam…«
Bettina räuspert sich, Pa sieht mich drohend an und Alex fixiert mit kühler Miene sein Marmeladenbrot. Ich beiße mir fest auf die Unterlippe, schlucke alle weiteren Beschimpfungen runter und versuche, die brodelnde Wut in meinem Inneren zu unterdrücken. Sie hat jedes Recht der Welt, mich zu hassen. Ich denke zwar nicht, dass sie wirklich weiß, was zwischen Alex und mir vorgefallen ist, aber wenn sie nicht gerade bescheuert ist, dann wird sie sich ihren Teil schon denken können.
»Ich denke, ein Friseurbesuch wäre vielleicht kein Fehler.« Verdutzt sehe ich Bettina an. Sie lächelt unsicher und zuckt mit den Schultern. »Deine Haare sind wirklich schon ziemlich lang…«
»Nicht zu lang«, rufe ich schnell.
»Naja…«, meint sie und sucht bei ihrem Mann nach Unterstützung.
»Für einen Jungen sind sie zu lang. Sie reichen dir fast bis auf die Schultern.« Pa nickt ernst.
Für einen Jungen… einen richtigen Jungen! Einen Jungen, der Fußball spielt, mit Kumpels um die Häuser zieht und mit Mädchen ausgeht. Einen Jungen, der über Blondinenwitze lacht, Autos reparieren kann und Klamotten einkaufen schrecklich findet. So oder so ähnlich stellt er sich wohl einen Jungen vor. So oder so ähnlich muss sein Sohn sein.
Bin ich aber nicht. Ich mag meine langen Haare, ich finde Shoppen super, Mädels sind zum Reden da und Jungs zum Knutschen.
Plötzlich wird mir das Herz sehr schwer. Flau und unangenehm kribbelig fühlt sich mein Magen an. Ich bekomme Angst. Wieder hat mir Pa deutlich gezeigt, wie er über Männer und Frauen denkt, wer welche Rolle hat und welche Erwartungen er an seinen Sohn stellt. Wie wird er da reagieren, wenn ich ihm gestehe, dass ich Bartstoppeln und Bauchmuskeln viel erotischer finde als Brüste und rot geschminkte Lippen?
Betreten rühre ich in meinem dampfenden Kaffee. Ich zupfe etwas an meinem Brot herum und überlege, wie ich Pa und Bettina am besten auf mein Coming-out vorbereite.
Ich könnte die Sache humorvoll gestalten und herunterspielen: Ich muss euch etwas ganz, ganz, ganz Schreckliches sagen: Ich bin ein Kannibale! Ha, da habt ihr euch aber erschreckt, oder? Nee, das war nur Spaß, ganz so schlimm ist es nicht, ich bin nur schwul!
Oder ich könnte es auch in einem Rätsel sagen: Was haben Elton John, George Michael, Freddie Mercury, Boy George und ich gemeinsam? Kleiner Tipp: Es hat nichts mit Musik zu tun!
Nee, alles nicht perfekt. Ich stöhne leise und nippe an meinem Kaffee.
Als wir dann zusammen den Tisch abräumen, habe ich ein wirklich ungutes Gefühl. Stumm reiche ich Alex die Butterdose und ein Marmeladenglas, er räumt sie in den Kühlschrank.
»Willst du es ihnen immer noch sagen?«
Ich blinzle und schaue auf. »Hm?«
»Mom
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