Charles Dickens
opfert. Das zweite war das Thema von
The Frozen Deep
, dem Stück, das ihn mit Ellen Ternan zusammengebracht hatte. Es bleibt müßige Spekulation, klingt aber plausibel, wenn man Cartons Opfertod in Dickens’ Seelenhaushalt als sühnende Entlastung von den eigenen Schuldgefühlen deutet.
Das wohl bekannteste Lebenszeugnis aus dem Jahr 1859 ist das große Dickens-Porträt, das William Powell Frith schuf. Frith hatte schon 1842 mit einem Gemälde, das die Figur der Dolly Varden aus
Barnaby Rudge
darstellt, Dickens’ Aufmerksamkeit geweckt, worauf dieser den Maler bat, weitere Szenen aus dem Roman und aus
Nicholas Nickleby
für ihn zu malen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine freundschaftliche Beziehung mit gegenseitigen Einladungen beider Familien. Den Auftrag zu dem Porträt hatte John Forster schon 1854 erteilt. Doch dann ließ sich Dickens einen Schnurrbart wachsen, was Forster für eine vorübergehende Marotte hielt. Deshalb bat er Frith zu warten, bis wieder mehr Gesicht zum Malen sichtbar sei. Daraus wurde nichts. Im Gegenteil, aus dem Schnurrbart wurde der lange Bart, den Dickens bis zuletzttrug. Mit diesem Bart sieht man ihn auf seinem Stuhl im Arbeitszimmer von Tavistock House, vor sich auf dem Schreibtisch die ersten Seiten von
A Tale of Two Cities
. Dickens äußerte sich über das Bild ironisch reserviert und meinte, er sehe darauf so aus, «als bekomme er gerade die Nachricht, dass das unversicherte Haus seines Nachbarn und Todfeindes in Flammen stehe».
Die Entstehung des Bildes war natürlich überschattet von der ehelichen Misere im Hause Dickens. In seiner eigenen Autobiographie geht Frith dezent über die Affäre hinweg, doch aus den Memoiren seiner Tochter Cissy erfährt man, wie heftig die «gute Gesellschaft» darauf reagierte. Sie erzählt dort, wie sie eines Abends mit ihrer Mutter und Mrs. Dickens in einer Theaterloge saß, als in der gegenüberliegenden Loge Dickens mit einigen Freunden erschien, worauf Catherine in Tränen ausbrach. Nachdem Mrs. Frith sie nach Hause begleitet hatte, hörte ihre Tochter, wie sie zum Vater sagte: «Mir war, als dürfte ich sie nicht allein lassen: dieser Mann ist ein Scheusal (
that man is a brute
).» Der Vater zuckte darauf nur mit den Schultern und schwieg. Doch danach wurde Dickens nicht mehr in Friths Haus eingeladen. Cissy hingegen berichtet von einem späteren Besuch mit ihrem Vater bei Dickens in Gad’s Hill.
Das Porträt zeigt Dickens nicht so wach und lebendig wie das zwanzig Jahre früher entstandene von Maclise; und die von Zeitgenossen immer wieder bemerkte Magie seines Blickes kommt darin noch weniger zum Ausdruck. Umso deutlicher zeigt es den Habitus des lässigen Landedelmannes, den Dickens mit den Jahren immer mehr kulivierte. Besonders in seiner Kleidung trieb er dabei einen solchen Aufwand, dass manche Zeitgenossen, die den Dresscode der oberen Mittelklasse von Geburt an kannten, dies als geschmacklos empfanden und darin das typische Gehabe eines Neureichen sahen. So sehr Dickens selber Snobismus hasste, so wenig fand er dabei, sich mit auffälligem Pomp zu kleiden, üppige Samtjacken zu tragen und sich mit einer schweren goldenen Uhrkette zu schmücken. Besonders Amerikaner empfanden dies als
overdressed
.
Eine Geschichte zweier Städte
Dies ist nach
Barnaby Rudge
Dickens’ zweiter historischer Roman. Dass es in beiden Werken um die Rebellion gegen ein Gefängnis geht, zeigt an, wie zentral das Motiv für sein Denken war. Die Stoffquelle für den historischen Teil war im Wesentlichen Thomas Carlyles Buch über die Französische Revolution. Tatsächlich spielt deren historischer Ablauf in dem Roman aber kaum eine Rolle. Sie erscheint wie die Gordon Riots in
Barnaby Rudge
im Hintergrund als eine gewaltige gegen das Gefängnis anbrandende Woge, während im Vordergrund eine Handlung abläuft, in der die Hauptfigur Charles Darnay von einer ‹ererbten› Schuld verfolgt wird, in die er schuldlos verstrickt ist. Damit ist von Anfang an die Trias der drei Symbolbereiche etabliert. Dass der Held die Namensinitialen seines Autors hat, lässt zudem auf eine persönliche Weltsicht schließen. Der Titel des ersten der drei Bücher des Romans,
Recalled to Life (Ins Leben zurückgerufen)
, fügt der thematischen Struktur ein weiteres typisches Element hinzu, das Motiv der Wiedergeburt, das Dickens in seinen späten Romanen immer wieder als moralisches Regenerationserlebnis darstellt. Hier durchzieht es die Handlung in mehreren
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