Charles Dickens
herauszukitzeln, entschied er sich, die wöchentlichen Fortsetzungen an jedem Monatsende noch einmal als Monatsnummer herauszubringen. Parallel zur heimischen Publikation erschien der Roman in Amerika in
Harper’s Weekly
in der Zeit vom 7. Mai bis zum 3. Dezember 1859. Dickens’ neue Zeitschrift mit dem Roman als Zugpferd stellte rasch die Auflage ihrer Vorgängerin in den Schatten. Von der ersten Nummer wurden 120.000 Stück verkauft. Auch wenn die Auflage danach auf 100.000 zurückging, war der Erfolg sensationell. Selbst die monatlichen Nachdrucke erreichten Rekordauflagen von 35.000.
Die Reaktion der Kritiker war gemischt. Carlyle äußerte sich begeistert, was nicht verwundern konnte. Das andere Extrem war die Kritik von James Fitzjames Stephen, der das Buch als ein «Gericht aus Hundepastete und geschmorter Katze» bezeichnete, wobei die beiden Zutaten in der Zubereitung nicht zu unterscheiden seien. Dass ein Teil des Publikums enttäuscht reagierte, ist verständlich, da dem Buch alle typischen Züge eines Dickens-Romans fehlen. Es gibt darin so gut wie keinen Humor; und Figuren, die er anderswo als groteske Sonderlinge auftreten ließ, werden hier zu allegorischen Bedeutungsträgern. Auf der anderen Seite zeigt aber der Verkaufserfolg, dass das Publikum in dem Roman eine neue Seriosität sah, die die anspruchsvolleren Leser bei Dickens bis dahin vielfach vermisst hatten.
Während Dickens noch an dem Roman schrieb, ging ihm bereits ein neues Projekt durch den Kopf. Der amerikanische Journalist Thomas Coke Evans, der bereits den Verkauf der Druckfahnen in die USA einfädelte, hatte ihm zugleich den Vorschlag gemacht, eine Lesetour durch die USA zu organisieren, die ihm 10.000 Pfund einbringen sollte. Dickens spielte eine Weile mit dem Gedanken, gab ihn dann aber «aus privaten Gründen» auf, was sich sicher auf Nelly bezog. Nachdem er lange Zeit ein Ressentiment gegen den amerikanischen Buchmarktgehabt hatte, fand er nun doch immer mehr Gelegenheiten, ihn für sich zu erschließen. So akzeptierte er am 29. März das Angebot Robert Bonners, des Eigentümers des
New York Ledger
, für diesen eine Kurzgeschichte gegen ein Honorar von 1000 Pfund zu schreiben. Dickens lieferte daraufhin die Kriminalgeschichte
Hunted Down
, die er in kürzester Zeit nebenher schrieb. Sie erschien vom 20. bis 27. August in Fortsetzungen in der New Yorker Zeitschrift und ein Jahr später noch einmal in
All
t
he Year Round
. Selten hat Dickens mit so wenig Aufwand soviel Geld verdient. Trotzdem gönnte er sich in diesem Jahr nur eine Woche Urlaub in Broadstairs.
Dickens (1859). Porträt von William P. Frith.
Im Oktober schloss er die letzte Fortsetzung von
A Tale of Two Cities
ab, die am 26. November erschien. Anders als bei früheren Romanen feierte er die Geburt dieses Werkes nicht mit einem großen Dinner, sondern füllte das postnatale Loch gleich mit einer weiteren Tour von 14 Lesungen, die ihn zwischen dem 10. und 27. Oktober durch die Provinz führte. Im Dezember folgten drei weitere Lesungen in London. Daneben bereitete er für seine Zeitschrift eine Weihnachtsnummervor. Unter dem Titel
The Haunted House
(
Das Spukhaus
) sollte darin eine Gruppe von Menschen, die die Weihnachtstage in einem Spukhaus verbringen, anschließend erzählen, welche Geistererscheinung sie in der Nacht hatten. Dickens selber schrieb dafür die Geschichte
The Ghost in Master B’s Room
(
Der Geist im Zimmer des Hausherrn
).
Auffällig ist, dass sich Dickens’ politischer Furor jetzt deutlich abgekühlt hatte. Möglicherweise scheute er davor zurück, sich zu exponieren, um niemandem Gelegenheit zu geben, sein Privatleben ans Licht zu zerren. Schon die Wahl eines historischen Stoffes für den ersten Roman nach Beginn seiner Affäre mutet wie die Flucht in eine Welt an, die mit der Gegenwart nichts zu tun hat. Zudem erzählt er darin ein privates Drama, das in ein allgemeines, mythisch überhöhtes historisches Geschehen eingebettet ist. Neben
Little Dorrit
wirkt der Roman, der eines der einschneidendsten Ereignisse der europäischen Geschichte der Neuzeit zum Gegenstand hat, merkwürdig apolitisch. Man gewinnt den Eindruck, dass Dickens sich darin wie in
David Copperfield
in zwei Helden aufspaltet, doch jetzt nicht in das unschuldig leidende Kind und den dominanten Verführer, sondern in einen, der schuldlos für etwas Vergangenes zur Rechenschaft gezogen wird, und einen, der sich aus Liebe zu einer unerreichbaren Frau für deren Ehemann
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