Charles Dickens
im Jahr einbrachte. So kam er 1859 zusammen mit den Erträgen aus seinen Romanen auf ca. 10.000 Pfund.
Allerdings standen den stattlichen Einnahmen auch erhebliche Ausgaben gegenüber. Er selber hatte neben seinem Landsitz Gad’s Hill Place weiterhin das große Stadthaus, zahlte seiner Frau 600 Pfund im Jahr, finanzierte das Haus und sicher auch den Lebensunterhalt seiner Geliebten, zahlte für seine senile Mutter Haus und Pflegepersonal und musste für weitere Verwandte sorgen. Als 1860 sein jüngerer Bruder Alfred Lamert starb und eine mittellose Witwe mit fünf Kindern hinterließ, war es für ihn selbstverständlich, für den Unterhalt der Familie aufzukommen. Die gleiche Pflicht hatte ihm schon vorher sein jüngster Bruder Augustus aufgeladen, der 1857 seine erblindete Frau verlassen und sich mit einer anderen nach Chicago abgesetzt hatte. Als Augustus dort 1866 völlig verarmt starb, übernahm Dickens auch noch die Sorge für dessen amerikanische Familie. Nicht besser erging es ihm mit seinemBruder Frederick, der zeitweilig bei ihm gewohnt hatte. Fred war ein lebensuntüchtiger Mann, der den Namen seines prominenten Bruders mehrfach missbrauchte, um sich Kredit zu erschleichen. Auch diesen Bruder ließ Dickens trotz scharfer Ermahnungen nicht im Stich.
Gad’s Hill Place. Aus
The Illustrated London News,
18. Juni 1870.
Weitere finanzielle Belastungen sah er durch seine Kinder auf sich zukommen. Charley, der zunächst ein Jahr bei seiner Mutter wohnte, ging 1860 nach Hongkong, um im Teegeschäft sein Glück zu versuchen. Da Dickens das geringe Durchsetzungsvermögen seines Ältesten kannte, wird er sich schon jetzt um ihn Sorgen gemacht haben, die sich 1868 mit Charleys Bankrott als berechtigt erweisen sollten. Sein zweiter Sohn Walter Landor, der 1857 als Soldat im Dienst der East India Company nach Indien gegangen war, hatte sich dort inzwischen bei der Niederschlagung des Sepoy-Aufstandes ausgezeichnet, starb aber schon 1863. Auch Sohn Frank, der unter Stottern und mancherlei psychischen Störungen litt, gab Anlass zur Sorge, obwohl einige seiner Geschwister ihn für den cleversten hielten. Die anderen Söhne befanden sich noch in der schulischen Ausbildung.
Als seine zweite Tochter Katey am 17. Juli 1860 Wilkie Collins’ Bruder Charles heiratete, war auch das für Dickens kein Grund zur Freude,da er ihre Wahl missbilligte. Ihr Bräutigam, mit dem Dickens nicht recht warm wurde, war elf Jahre älter als sie und von labiler Gesundheit. Von Beruf war er Maler und verkehrte im Kreis der Präraffaeliten, betätigte sich aber auch als Journalist. Kateys Hochzeit war das erste große Familienfest in Gad’s Hill, allerdings ohne die Brautmutter, was einen weiteren Schatten auf die Familie warf, auf der bereits der Zwang zur Verheimlichung der außerehelichen Affäre des Vaters lastete. Aber wenn Dickens gegenüber Katey nach deren eigener Aussage ein schlechtes Gewissen zeigte, dann nur, weil er spürte, dass sie seinetwegen das Elternhaus verließ. Weitergehende Schuldgefühle erstickte er mit uneinsichtiger Selbstgerechtigkeit. Er redete sich ein und versuchte seine Freunde davon zu überzeugen, dass seine Ehe von Anfang an ein Fehler gewesen war, dass er die Trennung in beiderseitigem Einvernehmen geregelt habe und dass sein Verhältnis zu der jungen Schauspielerin absolut ehrenhaft sei. Die Unmoral sah er auf seiten seiner Schwiegermutter und deren Familie, die ihn verleumdeten, weshalb er sie mit einer Art Bannfluch belegte und den Kontakt zu allen abbrach, die sich auf ihre Seite schlugen oder auch nur den sozialen Verkehr mit ihnen fortsetzten, eine Drohung, die auch für seine Kinder galt. Während Mamie, die älteste Tochter, sich dem Vater vollständig unterwarf und ihm zuliebe jeden Kontakt zur Mutter unterließ, besuchte Katey sie gelegentlich und bewahrte sich auch sonst mehr Unabhängigkeit gegenüber dem Vater.
Um den Bruch mit seinem früheren Leben vollständig zu machen, entschloss sich Dickens, Tavistock House aufzugeben. Da er bei Aufenthalten in London immer in den Geschäftsräumen seiner Zeitschrift unterkommen konnte, war er auf das Stadthaus nicht länger angewiesen; und wenn er mit seinen Töchtern die Wintersaison in der Stadt verbringen wollte, war es günstiger, für diese Zeit ein Haus zu mieten. So verkaufte er am 4. September 1860 den noch für 36 Jahre geltenden Pachtvertrag und besiegelte den Schnitt, der ihn von den Erinnerungen an das gesellige Leben in diesem Haus
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