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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Masse getragen wird. Sein Sohn Edward steht am Anfang einer langen Reihe von Charakteren, in denen Dickens zeigt, wie Menschen in Erwartung einer Erbschaft auf die autonome Gestaltung ihres Lebens verzichten und erst durch eine Krise, wenn überhaupt, zu sich zurückfinden. Edward wirft in einem langen Gespräch seinem Vater vor, dass er ihn mit großen Erwartungen aufwachsen ließ und damit für das Leben untüchtig gemacht habe. Hier klingt zum ersten Mal in Dickens’ Werken das Thema an, das er in seinem vorletzten Roman,
Große Erwartungen
, ins Zentrum stellte. Edward Chester gelingt es schließlich, sich zu emanzipieren, und er wird dafür mit der Hand Emma Haredales belohnt. Deren Vater sprengt zwar symbolisch sein Gefängnis, was in der Zerstörung des
Warren
zum Ausdruck kommt, doch er ist zu starrsinnig und trotzig in seiner Außenseiterrolle als Katholik. Deshalb muss er nach dem Duell, bei dem er Chester tötet, auf den Kontinent fliehen, wo er wenig später in einem Kloster stirbt. Die positive Mitte repräsentiert Gabriel Varden, dessen weltoffene, lebensbejahende Heiterkeit Dickens’ Ideal darstellt.
    Wie planvoll die symbolischen Komplexe eingesetzt werden, zeigt sich daran, dass am Schluss das Bild des brandenden Mob in das positive Medium einer Regeneration umgepolt wird. Als die Menge sich vor Vardens Haus versammelt und auf ihren Schultern den begnadigten Barnaby trägt, wird dies wie ein Auferstehungserlebnis beschrieben.

Amerika, eine
enttäuschte Liebe
Januar bis Juni 1842
    Am 4. Januar 1842 brach Dickens mit seiner Frau und ihrer Zofe von Liverpool aus in die neue Welt auf und landete nach stürmischer Überfahrt am 22. Januar in Boston. Dort wurde er wie ein Held empfangen. Er blieb bis zum 5. Februar in der Stadt, lernte den Dichter Henry Wadsworth Longfellow kennen, befreundete sich mit dem Bürgermeister Jonathan Chapman und fand in Cornelius Felton, einem Professor für Griechisch, einen noch engeren Freund, mit dem er später eine herzliche Korrespondenz führte. Schon in Boston sprach er bei Empfängen das heikle Thema des nicht vorhandenen amerikanischen Copyright-Schutzes für ausländische Autoren an, das ihm bald die ganze Reise vergällen sollte.
    Die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die auf ihn niederprasselten, hatten ihn bereits an einem der ersten Tage veranlasst, einen Sekretär anzustellen, der ihn und seine Frau danach als Faktotum begleitete. Am 5. Februar reiste er über Worcester weiter nach Hartford in Connecticut, wo er vier Tage blieb, das Gefängnis und das Irrenhaus besichtigte und erneut auf das Copyright-Thema zu sprechen kam. Dann ging es weiter in Richtung New York. Die Begeisterung wuchs anfangs von Station zu Station; und amerikanische Zeitzeugen meinten, selbst George Washington sei nie so umjubelt worden. In New York wurde ihm zu Ehren am 14. Februar im Park Theatre ein Ball gegeben, an dem über 3000 Gäste teilnahmen. Das Theater war aufwändig geschmückt mit Blumen, Girlanden und zahlreichen Darstellungen von Szenen aus seinen Romanen. Doch dann kühlte die Begeisterung rasch ab, und acht Tage nach dem großen Ball beklagte sich Dickens bei seinem neuen Freund Jonathan Chapman mit wütendenWorten, dass er noch nie so würdelos behandelt worden sei. Was war geschehen?
    In öffentlichen Äußerungen hatte er den Amerikanern Komplimente gemacht zu ihrem erfolgreichen Versuch, eine freiere und gerechtere Gesellschaftsordnung zu etablieren, und er hatte hinzugefügt, er hoffe, «dass der Tag kommen werde, an dem hier auch die Schriftsteller gerecht behandelt werden». Obwohl er selber sich als Opfer dieser Ungerechtigkeit fühlte, war er diplomatisch genug, als Beispiel nicht die eigene Situation, sondern die von Sir Walter Scott zu schildern, der sich trotz seines weltweiten Erfolges zu Tode arbeiten musste, um einen riesigen Schuldenberg abzutragen. Unterstützt wurde er bei seiner Forderung von Washington Irving, mit dem er schon vor seiner Reise korrespondiert hatte. Irving, damals der in Europa bekannteste amerikanische Autor, fühlte sich geschmeichelt, als Dickens detaillierte Kenntnis seiner Erzählungen bewies.
    Dickens hatte schon vor Antritt seiner Reise den Plan gefasst, das Urheberrecht zur Sprache zu bringen; denn durch den nichthonorierten Nachdruck seiner Werke gingen ihm beträchtliche Einnahmen verloren. Für die Amerikaner bedeutete das Fehlen des Copyright aber freien Zugang zu allem Gedruckten und damit breitestmögliche

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