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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Konservatismus›, empfand.
    Erholsamer war für ihn ein zweiwöchiger Aufenthalt in Montreal. Hier inszenierte er, wie bereits von England aus verabredet, mit einer Laientruppe drei Theaterstücke, in denen seine Frau und er selber Rollen übernahmen. Das gab ihm Gelegenheit, seiner Leidenschaft für die Schauspielerei zu frönen und so die angestaute Frustration der vorausgegangenen Reise abzureagieren. Am 2. Juni ging es zurück nach New York, und fünf Tage später trat das Ehepaar auf der
George Washington
die Heimreise nach England antrat. Dort landeten sie am 29. Juni in Liverpool und nahmen ohne Aufenthalt den Zug nach London, wo sie spät abends eintrafen und von den Kindern freudig begrüßt wurden.
     
Notizen aus Amerika
    Schon bald nach der Rückkehr machte sich Dickens an den Reisebericht, den seine Verleger von ihm erwarteten. Die Entwürfe vieler Kapitel waren bereits in groben Zügen fertig, da er seine Briefe aus Amerika, vor allem die an Forster, schon mit dem Blick auf die spätere Veröffentlichung geschrieben hatte. Deshalb dauerte es nur drei Monate, bis das Buch fertig war. Bereits im Oktober kam es unter dem Titel
American Notes for General Circulation
auf den Markt. Mit dem Titel spielte Dickens ironisch auf die zu der Zeit noch nachwirkende Bankenkrise an, die den Wert der umlaufenden amerikanischen Banknoten in Frage stellte.
    Vergleicht man es mit der scharfsinnigen Analyse, die de Tocqueville sieben Jahre zuvor publiziert hatte, so ist Dickens’ Bild entschieden idiosynkratischer, einseitiger und feuilletonistischer. Er versucht gar nicht erst, Amerika zu verstehen, sondern beschreibt es so, wie er es erlebt hatte. Allen eingestreuten Bemerkungen über die Freundlichkeit der Amerikaner zum Trotz überwiegen die negativen Züge. Ihn stört, dass Amerikaner ständig Kautabak kauen und überall hinspucken, dass unter ihnen ein allgemeines Klima des Misstrauens herrsche, dass sie Fremden gegenüber aufdringlich und überheblich seien. Er beklagt ihre Tischsitten und hält sie insgesamt für ein Volk von Händlern, die alles zu Geld machen wollen. Manche seiner Beobachtungen würden Amerika-Reisende wohl auch heute noch bestätigen. So beschreibt er in missbilligendem Ton einen Amerikaner, der ungeniert seine Mitreisenden ausfragt. Das tun Amerikaner immer noch gern. Deutsche empfinden das meist als unkomplizierten Umgang und als Ausdruck von Interesse, während Engländer darin ein Eindringen in die Privatsphäre sehen.
    Am schärfsten geißelt Dickens die Sklaverei. Da er die Reise in die Südstaaten schon nach der ersten Station abgebrochen hatte, nimmt er im vorletzten Kapitel, das mit dieser Ursünde der Amerikaner abrechnet, sein Material aus Pamphleten der Abolitionisten und druckt eine lange Liste wörtlicher Zitate daraus ab. Dann macht er im Schlusskapitelnoch einmal den Versuch, das negative Bild abzumildern, indem er die Höflichkeit, Offenheit und durchgängige Freundlichkeit der Amerikaner lobt, doch wenig später ist er bereits wieder bei seinem Lieblingsfeind, der amerikanischen Presse, die er als den zweiten nationalen Schandfleck der USA ansieht.
    Große Teile des Buches sind persönliche Impressionen, die detailliert die Beschwerlichkeit des Reisens per Eisenbahn und Schiff schildern. Auffällig ist dabei, wie wenig sich Dickens durch grandiose Landschaften beeindrucken ließ. Der Mississippi war in seinen Augen nur ein «riesiger Graben, manchmal zwei bis drei Meilen breit, durch den flüssiger Schlamm fließt, mit sechs Meilen pro Stunde». Nur die Niagara-Fälle rissen ihn zu hymnischer Begeisterung hin. Bei ihrem Anblick empfand er «Frieden», «Glück» und «Schönheit» und fühlte sich seinem «Schöpfer nahe». Man gewinnt allerdings den Eindruck, dass ihn erst das Verlassen der USA und der Eintritt ins britische Kanada für solche Gefühle empfänglich gemacht hat. Seine Beschreibung der Wasserfälle erinnert an Bilder von Turner, in denen erhabene Natur ins Malerische übersetzt wird.
    In Geschmacksfragen war Dickens durch und durch englisch. Er schätzte das Pittoreske, das die Engländer bereits im 18. Jahrhundert gegenüber dem Schönen und dem Erhabenen zu ihrem nationaltypischen ästhetischen Ideal erkoren hatten. Für das Erhabene in reiner Form hatte er wenig Sinn. Deshalb ließ ihn auch die amerikanische Landschaft mit ihren gewaltigen Strömen und den endlosen Ebenen kalt. Die vielleicht interessanteste, weil unerwartete Begegnung, von der er

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