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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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seiner Zeitschrift vom 4. Dezember verabschiedet. Darin ließ er noch einmal Master Humphrey auftreten undmelancholisch über den Zustand der Welt räsonnieren. Außerdem publizierte er in dieser Nummer sein Vorwort für die Buchausgabe von
Barnaby Rudge
, worin er die historische Wahrheitstreue seines Romans verteidigte und den Verdacht prokatholischer Sympathien zurückwies.
    Als Autor sah sich Dickens jetzt zum ersten Mal seit seinen Anfängen wieder vor einem leeren Blatt Papier. Hatte er früher zeitweilig zwei Romane gleichzeitig in Arbeit, so blickte er jetzt auf fünf abgeschlossene zurück, ohne zu wissen, wie der nächste aussehen sollte. Das einzige konkrete Projekt, das er mit seinen Verlegern vereinbart hatte, war ein Bericht über die bevorstehende Amerikareise. Das Jahr klang aus mit den Weihnachts- und Neujahrsfestlichkeiten sowie der Taufe des einjährigen Sohnes. Danach wurde der Weinkeller versiegelt und der Schlüssel von Devonshire Terrace Nummer 1 dem Mieter übergeben. Am 2. Januar 1842 machte sich Dickens mit seiner Frau in Begleitung von John Forster auf den Weg nach Liverpool – zum Start in die neue Welt.
     
Barnaby Rudge
    Dickens’ fünfter Roman wäre sein erster geworden, wenn er damals nicht das Angebot der
Pickwick Papers
erhalten hätte; denn den Plan zu einer romanhaften Darstellung der antikatholischen Aufstände im Jahr 1780, der so genannten
Gordon Riots
, hatte er bereits vor 1836 gefasst. Die frühe Konzeption merkt man dem Roman deutlich an. Es ist offensichtlich, dass er sich dabei an den historischen Romanen Sir Walter Scotts orientierte, die in den 30er Jahren den Buchmarkt beherrschten.
    Mit einem der Romane von Scott hat
Barnaby Rudge
sogar, wie bereits früher erwähnt, eine auffallende Ähnlichkeit, nämlich mit
Das Herz von Midlothian
. Auch dort geht es um einen spontanen Aufstand der Volksmenge und um die Erstürmung eines Gefängnisses. Bei Scott sind es die so genannten
Porteous Riots
, die dadurch ausgelöst wurden, dass John Porteous, der Hauptmann der Edinburger Stadtwache, bei einer öffentlichen Hinrichtung in die aufgebrachte Menge schießen ließ. Scotts Vorbild scheint auch in einem konkreten Detail durch: Was bei ihm die geistesschwache Zigeunerin Madge Wildfire ist bei Dickens der geistig zurückgebliebene Titelheld Barnaby Rudge.
    Selbst die Erzählweise klingt in den ersten Kapiteln eher nach Scott als nach dem Autor von
Nicholas Nickleby
. Statt wie in den früheren Romanen mit einem humoristischen oder sarkastischen Ton einzusetzen, beginnt er wie Scott mit einer realistischen Beschreibung des Schauplatzes. Danach lässt er, ebenfalls dem großen Vorgänger folgend, nacheinander Personen auftreten, die zunächst anonym bleiben, während die bereits Anwesenden versuchen, sich ein Urteil über sie zu bilden. Mit diesem Verfahren erreichte Scott die Illusion einer realistischen Wirklichkeitsdarstellung, wohingegen die Leser der vorangegangenen Dickens-Romane vom ersten Satz an der Stimme eines Erzählers lauschten, der eine eigene Welt von unverwechselbarer Farbigkeit beschwört. Wer zuvor den
Raritätenladen
gelesen hatte, wird erstaunt gewesen sein, nun in der gleichen Zeitschrift einen so ganz anderen Ton anzutreffen.
    Kritiker warfen dem Roman vor, dass er aus zwei unverbundenen Teilen bestehe, aus einem historischen Roman über die
Gordon Riots
und einem Kriminalroman über die Aufklärung eines Mordes, den der für tot gehaltene Vater des Titelhelden begangen hat. Doch im historischen Teil geht es nicht darum, ein geschichtliches Ereignis aus seinen gesellschaftlichen Voraussetzungen verstehbar zu machen, vielmehr reduziert Dickens den Konflikt zwischen den Aufständischen und den Vertretern der Ordnung auf die symbolische Opposition zwischen dem Gefängnis auf der einen und der wie ein Meer dagegen anbrandenden Menge auf der anderen Seite. Das gibt dem Roman im Hintergrund jene Polarität von lebensfeindlicher Erstarrung und haltloser Offenheit, die in den späteren Werken immer mehr Raum gewinnen sollte. In das Spannungsfeld dieser Pole stellt Dickens mit der Kriminalhandlung sein drittes obsessives Thema, das einer «ererbten» Vergangenheit.
    Die Handlung ist in groben Zügen folgende: 22 Jahre vor Beginn der Erzählgegenwart wurde der katholische Landadlige Geoffrey Haredale auf seinem Familiensitz, dem
Warren
, ermordet. Nach der Tat waren der Gärtner und der Schlossverwalter Rudge verschwunden, weshalb sie als Verdächtige galten.

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