Charles Dickens
werden. Andererseits warnt er aber auch vor revolutionärem Aufbegehren. Den nostalgischen Blick zurück in die gute alte Zeit, den damals die konservative
Young England
-Bewegung pflegte, lehnte er ebenso ab wie das, was die Vertreter der mechanistischen «politischen Ökonomie» predigten, die meinten, dass jeder seines Glückes Schmied sei und Armut nur dem eigenen Versagen entspringe. Dickens Werte sind Hoffnung, Vertrauen und Mitmenschlichkeit. Aus heutiger Sicht klingt das quietistisch und sentimental. Man muss sich aber bewusst machen, dass Dickens seine Geschichte schrieb, als die sogenannte Chartistenbewegung in vollem Gange war. Diese Arbeiterbewegung, die die Kampagnen der bürgerlichen
Anti-Corn Law League
begleitete, bewegte sich stets am Rande revolutionärer Unruhen, vor denen Dickens warnte. Erst mit der Abschaffung der Kornzölle 1846 schwand diese Gefahr und die Bewegung schlief ein. Dickens hatte zwar von Anfang an mit ihr sympathisiert, aber nur unter der Bedingung, dass sie gewaltlos blieb. Mit ihrem Ausklingen schwand auch die sozialkritische Schärfe aus seinen Weihnachtsbüchern. In den letzten dreien weicht die soziale Anklage mehr und mehr dem Appell an die persönliche Moral.
Drang zur Bühne
Juli bis Dezember 1845
Als Dickens am 3. Juli wieder in sein Haus in Devonshire Terrace einzog, hatte er noch kein neues Romanprojekt im Kopf. Dass er aus seinen Italieneindrücken einen Reisebericht machen würde, stand allerdings fest. Doch anders als bei den
American Notes
war er anfangs unsicher, wie er die Fülle des Materials in Buchform bringen konnte und bat dazu Forster um Rat. Da kam am 25. Juli das Angebot von Bradbury & Evans, Herausgeber einer nationalen Tageszeitung zu werden, die der Verlag zusammen mit Joseph Paxton als Geldgeber starten wollte. Paxton, der sechs Jahre später als Architekt des Kristallpalastes für die Londoner Weltausstellung berühmt werden sollte, war nicht nur Chefgärtner und Gutsverwalter des Herzogs von Devonshire, sondern ein Geschäftsmann, der durch Finanzspekulationen und kluge Investitionen in ein Eisenbahnunternehmen reich geworden war.
Bei einem solchen Partner war klar, dass die geplante Zeitung im liberalen Lager stehen und gegen die Kornzölle agitieren würde. Die mit 2000 Pfund Jahresgehalt honorierte Position war für Dickens so verlockend, dass er das Angebot erst einmal annahm, wohlwissend, dass die Leitung einer Tageszeitung ihm auf Dauer wenig Zeit für seine schriftstellerische Arbeit lassen würde. Trotzdem unterschrieb er am 3. November den Vertrag und machte sich wenig später daran, eine Ankündigung der Zeitung zu entwerfen, die unter dem Namen
Daily News
ab 1. Januar 1846 erscheinen sollte.
Die Zeit bis zum Beginn der neuen Tätigkeit nutzte er, um den Reisebericht in eine endgültige Form zu bringen und wieder eine Weihnachtserzählung für das bevorstehende Fest zu schreiben. Die beiden Buchprojekte hielten ihn aber nicht davon ab, auch noch eine private Theateraufführung vorzubereiten. Wie sehr er dieses Ventil fürseine aufgestaute Energie brauchte, geht aus einem Satz hervor, mit dem er am 3. September seinem Freund Cattermole gegenüber den Drang zur Bühne erklärte: «Ich war so lange zugekorkt, dass ich selig bin, in diesem Stück einen Korkenzieher zu finden.» Das Stück, das erim Auge hatte und das er danach noch öfter mit Freunden aufführte, war Ben Jonsons
Every Man in His Humour (1598; Jedermann auf seine Art)
. Darin gibt es die Rolle des großsprecherischen Captain Bobadil, die er selber übernahm und darin sein ganzes komödiantisches Talent ausspielte. Außerdem war er Regisseur und Produzent des Unternehmens. Die männlichen Rollen übernahmen Freunde und Verwandte, für die weiblichen engagierte er professionelle Schauspielerinnen. Die Aufführung fand am 20. September in einem Privattheater in Soho statt. Das prominente Publikum sorgte durch Mundpropaganda dafür, dass der Wunsch nach einer öffentlichen Aufführung laut wurde, die am 15. November in Anwesenheit des Prinzgemahls Albert und seines Gefolges im St. James-Theater stattfand.
Theaterzettel für Dickens’ erste öffentliche Inszenierung.
«Dickens in der Rolle des Bobadil» (1846). Gemälde von Charles Robert Leslie.
Während Dickens seine aufgestaute Energie auf der Bühne abreagierte, sah seine Frau der sechsten Niederkunft entgegen. Am 28. Oktober brachte sie den vierten Sohn zur Welt, der nach seinen beiden Paten den Namen Alfred
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