Charles Dickens
freundlicher, duldsamer und hoffnungsvoller wird!
Vergleicht man Dickens’ Haltung gegenüber Italien mit der, die er zu Amerika einnahm, fällt auf, wie nachsichtig er hier Mängel beurteilt,die er dort scharf verurteilte. Noch am Schluss der
Amerikanischen Notizen
gibt er den Amerikanern in schulmeisterlichem Ton den Rat, ihre Ernährungsgewohnheiten sowie die Abwassersysteme und die Hygiene zu verbessern, und er empfiehlt ihnen, sich an Mr. Chadwicks
Report über die sanitären Bedingungen der Arbeiterklasse
zu orientieren. Auch in Italien erwähnt er immer wieder den Schmutz und die schlechten hygienischen Bedingungen, doch hier lässt er dies als Teil einer überwiegend pittoresken Szenerie gelten. Man gewinnt den Eindruck, dass er sich den Italienern gegenüber in einer so unangefochtenen Position der Überlegenheit empfand, dass er auf sie mit väterlichem Wohlwollen herabschauen konnte, während ihm in Amerika Menschen gegenübertraten, die ihrerseits die Rolle der Überlegenen beanspruchten, was Dickens als Arroganz empfand.
Die Glocken
Dickens’ zweite Weihnachtserzählung,
The Chimes. A Goblin Story of Some Bells that Rang an Old Year Out and a New Year In (Die Glocken. Die Geschichte von Glocken, die ein altes Jahr aus- und ein neues einläuteten)
, schildert das soziale Elend von Menschen, die Hunger leiden, arbeitslos sind und denen die Wohnung gekündigt wird. Toby Veck (genannt Trotty), die Hauptfigur der Erzählung, ist ein «schwacher, kleiner, dürrer alter Mann», der als Botengänger frierend an windigen Ecken auf Aufträge wartet. Stets arbeitswillig und fleißig, hat sich der einfältige, arglos-gutwillige Mann von der öffentlichen Meinung einreden lassen, dass er an seiner Armut selber schuld sei.
Die Geschichte spielt am letzten Tag des Jahres und beginnt damit, dass Trottys Tochter Meg ihm an seinen windigen Standort gekochte Kutteln, sein Lieblingsgericht, bringt und ihm mitteilt, dass sie am Neujahrstag ihren Verehrer Richard heiraten werde; denn da sie beide sowieso arm bleiben werden, habe es keinen Sinn, noch länger zu warten. Während Trotty sein Mittagsmahl verzehrt, kommen drei Gentlemen vorbei, die in ihm das Gefühl wertlos zu sein so sehr verstärken, dass er danach am liebsten sterben will. Der erste wirft ihm vor, dass er mit seinem Luxusessen armen Witwen und Waisen die Nahrung wegnehme und dass die Heirat seiner Tochter verantwortungslos sei. Der zweite behauptet, es gebe in Wirklichkeit gar keinen Mangel, und der dritte beschwört die gute alte Zeit (an die Dickens selber nie glauben wollte).
Später wird Trotty Zeuge, wie Will Fern, ein mittelloser Arbeitsuchender, wegen Landstreicherei verhaftet werden soll, weshalb er ihn und seine neunjährige Nichte Lilian zu sich einlädt. Mit seinen letzten sechs Pennies kauft er für sie Tee und etwas Speck und verschafft ihnen eine Unterkunft für die Nacht. Als die Glocken, in denen er schon vorher Stimmen zu hören glaubte, erneut läuten, geht er zum Glockenturm, findet die Tür offen und steigt nach oben, wo er in Ohnmacht fällt. Im Traum sprechen die Glocken als Geister zu ihm. Die Größte wirft ihm vor, dass er aus ihren Stimmen immer nur die Verzweiflungheraushöre und nicht an Fortschritt und Verbesserung glaube. Damit habe er sich an ihnen versündigt und müsse sich auf eine düstere Zukunft gefasst machen. Dann sieht er sich selber als Leichnam am Fuße des Glockenturms und neun Jahre später seine Tochter, die sich mit harter Arbeit kaum ernähren kann. Danach wird er Zeuge einer aufrührerischen Rede, die der immer wieder ins Gefängnis geworfene Will Fern hält. Zuletzt sieht er noch einmal seine Tochter mit ihrem trunksüchtigen Mann. Als dieser stirbt und sie selber mit ihrer kleinen Tochter aus der Wohnung vertrieben wird, geht sie zum Fluss, um sich und ihr Kind umzubringen. Da fleht Trotty die Glocken um Hilfe an und versichert, dass er ihre Botschaft verstanden habe und von nun an die Hoffnung und das Vertrauen nicht mehr aufgeben werde. In diesem Moment erwacht er bei sich zu Hause. Als die Glocken das neue Jahr einläuten, kommt mit dampfendem Punsch Mrs. Chickenstalker vorbei, nach der Will Fern gesuchte hatte, als Trotty ihn vor der Verhaftung warnte und bei sich aufnahm.
Die Botschaft, die Dickens in diese Geistergeschichte verpackt hat, ist nicht ganz klar. Einerseits verkündet er seinem Helden keine rosige Zukunft; denn die als Warnung gedachte Traumvision könnte durchaus Wirklichkeit
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