Charles Dickens
fortschreitenden Schwindsucht seiner Schwester Fanny überschattet. Sie lebte mit ihrer Familie in Manchester, was für eine Lungenkranke ein höchst ungesunder Wohnort war. Deshalb mietete Dickens für sie ein kleines Haus auf dem Lande in der Nähe Londons, sorgte für die beste medizinische Versorgung undkümmerte sich auch sonst rührend um sie. Mit Fanny hatte er in früher Kindheit das engste Verhältnis gehabt, obwohl er sie damals beneidete, als sie ihr Klavierstudium fortsetzen durfte, während er in der Schuhwichsfabrik arbeiten musste. Seinen brüderlichen Gefühlen für sie hatte dies keinen Abbruch getan. Doch alle Fürsorge war vergebens, sie starb am 2. September. Fanny hinterließ einen Ehemann, der sie um 45 Jahre überlebte, sowie zwei Söhne, von denen der ältere mit einer Behinderung geboren war und ein Jahr nach der Mutter als Neunjähriger starb.
Die durch den Tod der Schwester geweckten Kindheitserinnerungen könnten der Grund gewesen sein, dass in Dickens wenig später der Entschluss reifte, einen autobiographisch gefärbten Roman zu schreiben. Noch unmittelbarer scheint die Erinnerung seine fünfte und letzte Weihnachtserzählung angeregt zu haben, zu deren Abfassung er sich nach der Pause von 1847 entschlossen hatte. Sie sollte den Titel
The Haunted Man (Der Heimgesuchte
) tragen. Um sie zu schreiben, zog er sich am 22. November nach Brighton zurück. Acht Tage später war das Buch fertig. Statt der Feier zum Abschluss des Werkes gab er am 5. Dezember ein Hochzeitsfrühstück für seinen jüngsten Bruder Augustus, der die Tochter eines verstorbenen Beamten der East India Company heiratete. Doch als sein Bruder Fred Ende des Monats ebenfalls heiratete, verweigerte Dickens die Teilnahme an der Feier, da er die Verbindung mit Anna Weller, der jüngeren Schwester seines einstigen Kindermädchens, missbilligte. Am 11. Dezember las er die neue Geschichte dem Ehepaar Watson und anderen Freunden vor. Danach half er seinem Freund Mark Lemon bei der Abfassung einer dramatisierten Fassung, was ihn frustrierte, da die Geschichte im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin wenig Dramatisches hergab. Immerhin brachte ihm die Aufführung weitere 100 Pfund ein. Als das Buch am 19. Dezember herauskam, lagen die Verkaufszahlen unter denen von
The Battle of Life.
Doch es reichte für einen Reingewinn von 793 Pfund.
Dickens’ letzte Publikation des Jahres 1848 erschien am 30. Dezember im
Examiner.
Es war eine kritische Würdigung der Zeichnungen seines Freundes John Leech (1817–64), der mit seinen Illustrationen von
A Christmas Carol
wesentlich zum langfristigen Erfolg dieses Buches beigetragen hat. Leech war einer der wichtigsten Zeichner der 1841 gegründeten satirischen Zeitschrift
Punch
und wurde auch als Illustratorhoch geschätzt. Dickens hatte zu ihm lange Zeit engen Kontakt, unternahm Reisen und Wanderungen mit ihm und gewann den Widerstrebenden auch zur Teilnahme an Theateraufführungen. Im Jahr 1849 werden die beiden in benachbarten Orten auf der Isle of Wight Badeurlaub machen, und Dickens wird versuchen, durch Mesmerisieren die Kopfschmerzen des Freundes zu lindern, die der Schlag einer Riesenwelle bei ihm ausgelöst hatte. Leech war auch einer der Illustratoren des letzten Weihnachtsbuches. Doch das Bild, das das Zentralthema der Geschichte in einem Schlusstableau zusammenfasst, schuf nicht er, sondern Clarkson Stanfield. Die Unterschrift «HERR, erhalte mein Erinnerungsvermögen grün» und der sakrale Raum, in dem die Familienfeier stattfindet, gibt dem Erinnerungsthema eine quasi religiöse Bedeutung.
Schlusstableau von
The Haunted Man
, gezeichnet von Clarkson Stanfield.
Der Heimgesuchte
Was schon in den vier vorangegangenen Weihnachtserzählungen ein die Handlung bestimmendes Motiv war, wird in der fünften und letzten explizit zum Thema gemacht, nämlich die Auseinandersetzung mit der Erinnerung im umfassendsten Sinn. Im Mittelpunkt der Handlung steht der vom Leben enttäuschte, zwischen Resignation und Verbitterung schwankende Chemieprofessor Redlaw, der einem freudlosen Weihnachtsfest entgegensieht und sich wünscht, die Enttäuschungen seines Lebens vergessen zu können. Dabei geht es ihm gar nicht so schlecht; denn die Familie der Swidgers, die als Angestellte seines College für ihn sorgen, ist freundlich und liebevoll zu ihm. Vor allem Milly, die Frau von George Swidger, ist der gute Geist ihrer Umgebung und strahlt Wärme und Fürsorglichkeit aus. Auch diese Menschen haben
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