Charles Dickens
Gezeichnet von Samuel Laurence.
Aus dem Jahr 1848 stammt ein frühes Zeugnis, das auf Dickens’ literarische Wertkriterien schließen lässt. Es ist der Brief, den er am 22. April an Forster schrieb. Darin rühmt er dessen Goldsmith-Biographie und äußert sich verächtlich über James Boswells
Life of Dr. Johnson
, ein Buch, das damals wie heute als Meisterwerk galt. Der rühmende Teil des Briefes mag seiner Freundschaft mit dem Verfasser geschuldet sein, doch dass er Boswell so abschätzig beurteilt, überrascht, hätte man doch erwartet, dass er in der lebendigen Erzählweise des vitalen Schotten etwas vom eigenen Temperament spüren würde. Doch bei allem Humor verlangte er von der Literatur eine moralische Ernsthaftigkeit, die er in Boswells erdnaher Fleischlichkeit ebenso vermisste wie in Thackerays ironischerDistanz. Den Erfolg seines Romans sah er als Bestätigung seiner Position an. Thackeray, der seinerseits dazu neigte, in Dickens einen nicht ganz seriösen Unterhaltungsschriftsteller zu sehen, war dennoch so aufrichtig, seine Bewunderung für
Dombey und Sohn
unumwunden einzugestehen. Einem Freund gegenüber sagte er: «Es gibt kein Mittel gegen solche Sprachgewalt – man hat keine Chance! Lies das Kapitel, das den Tod des jungen Paul beschreibt: es ist unübertrefflich, staunenerregend.»
Thackeray drückte seine Bewunderung für den Roman auch in einem (nicht erhaltenen) Brief an Dickens aus, auf den dieser am 9. Januar 1848 antwortete. Darin bedankt sich Dickens zunächst für das Lob und schreibt, dass er sich die Lektüre von
Vanity Fair
für die Zeit nach Abschluss seines eigenen Romans aufgespart habe. Danach bezieht er sich auf eine Serie von Literaturparodien aus der Feder Thackerays, die ab 3. April 1847 unter dem Titel
Punch’s Prize Novelists
in
Punch
erschienen waren, und er wundert sich darüber, dass er selber ausgespart blieb. Thackerays Tochter berichtete später, dass Thackeray ursprünglich sich selbst und Dickens als letzte parodieren wollte, dass aber die Eigentümer der Zeitschrift die Dickens-Parodie untersagt hätten. Wenn das zutrifft, ist es ein weiterer Beweis dafür, dass Dickens inzwischen zu einer moralischen Instanz geworden war. In seinem Brief an Thackeray unterstreicht er selber diesen Sachverhalt, wenn er dort seiner Hoffnung Ausdruck gibt, dazu beigetragen zu haben, der Literatur einen so hohen Status zu verschaffen. Dabei lässt er Thackeray recht unverblümt wissen, dass er das Parodieren von Literaten nicht gut heißen könne, da es dem Status der Literatur im Ganzen abträglich sei. Das hielt ihn aber nicht davon ab, den Rivalen in einem späteren Brief vom 30. März für den 11. April zur Feier des Abschlusses seines Romans einzuladen.
Dombey und Sohn
Geschäfte mit der Firma Dombey und Sohn
ist der erste Roman, für den Dickens einen schriftlichen Plan entwarf. Während er in
Martin Chuzzlewit
noch dem linearen Prinzip des pikarischen Romans folgte, wählte er hier die Form, die ab
Bleak House
in allen seinen späteren Werken wiederkehrt. Es ist eine komplexe Struktur, in der die bereits bekannte symbolische Trias Gefängnis – Wasser – Erbschaft in ein dichtes Handlungsnetz eingewoben und mit einem detektivischen Moment versehen wird. Im Zentrum des Romans steht das düstere Haus des Kaufmanns Dombey, das für seine Bewohner Gefängnis, Gruft und Mausoleum zugleich ist. Sein Gegenpol ist Solomon Gills Geschäft für nautische Geräte, das den bezeichnenden Namen
Wooden Midshipman
, der ‹hölzerne Leutnant zur See›, trägt und damit das symbolische Zentrum des Wasserbereichs darstellt.
Der Roman beginnt mit der Vorstellung des 48-jährigen Dombey und seines 48 Minuten alten Sohns Paul, des gerade geborenen, lang ersehnten Erben der Firma. Doch von Freude, Glück und Zukunftshoffnung ist nichts zu spüren. Dombey sitzt am Feuer und klimpert mit seiner schweren goldenen Uhr, als wollte er damit sagen, dass nun der zeitliche Fortbestand seines Handelshauses gesichert sei. Tatsächlich signalisiert das mehrfach wiederholte Uhrenmotiv aber das Verrinnen der Zeit, und am Ende des Kapitels treibt die Mutter des Neugeborenen «hinaus auf die dunkle, unbekannte See, die die ganze Welt umgibt». Damit sind die thematischen Pole fixiert, zwischen denen sich die Handlung abspielt.
Wasserbilder kehren im Fortgang des Romans ständig wieder, sei es in Gestalt der Themse oder in der des Meeres an der Küste von Brighton, wo ein Teil der Handlung spielt.
Weitere Kostenlose Bücher