Charles Dickens

Ort der Welt» versuchen. Noch aber fehlte ihm ein Titel, der die Keimzelle zum Leben erwecken würde.
    Am 16. Januar wurde sein achtes Kind, Henry Fielding, geboren. Die Namensgebung lässt bereits ahnen, dass der neue Roman dem Entwicklungsschema von Fieldings
Tom Jones
folgen würde. Nachdem Dickens Namen wie Wellbury, Flowerbury, Magbury, Copperboy, Topflower und Copperstone für den Helden erwogen hatte, entschied er sich schließlich für David Copperfield und formulierte als Titel
The Personal History, Experience and Observations of David Copperfield the Younger, of Blunderstone Rookery, which he never meant to be published on any account
(
Die persönliche Geschichte, die Erfahrungen und Beobachtungen David Copperfields, des Jüngeren, von Blunderstone Rookery, die er unter keinen Umständen zu veröffentlichen gedachte).
Der umständliche Titel atmetden Geist des 18. Jahrhunderts und ließ einen Roman nach Art von
Nicholas Nickleby
oder
Martin Chuzzlewit
erwarten. Doch diesmal wählte Dickens die Form der Ich-Erzählung, die eine andere Erzählhaltung bedingte. Zwar gestattete der Rückblick des Ich-Erzählers die gleiche ironisch-humoristische Distanz wie in den beiden anderen Romanen, doch da der Leser alles aus dem Mund des Helden erfährt, sah Dickens sich vor der Aufgabe, eine psychologisch überzeugende Innenwelt darzustellen. Das fiel ihm im ersten Teil des Romans, der die Kindheit des Helden erzählt, nicht schwer; denn es war seine eigene, traumatische Kindheit, die er hier in Dichtung verwandelte.
    Nachdem er Ende Februar den endgültigen Titel gefunden hatte, machte er sich unverzüglich an die Arbeit und lieferte pünktlich die erste von insgesamt 19 Folgen ab, die am 1. Mai erschien. Der Absatz lag bei 20.000 und damit deutlich unter den 32.000 von
Dombey und Sohn.
Doch die seriöse Kritik nahm das Buch sehr positiv auf. Die zweite Folge war bereits fertig, als Dickens am 12. Mai das Ehepaar Carlyle, die Freunde Douglas Jerrold und Hablot Knight Browne sowie die Kollegen Thackeray und Elizabeth Gaskell in seinem Haus zu Gast hatte. Die Carlyles äußerten sich über den neuen Roman sehr positiv, und auch Thackeray sparte nicht mit Lob. Das Dinner mutet im Rückblick wie eine symbolische Widerspiegelung der sich kreuzenden literarischen Wege der beiden großen Rivalen an. Thackeray hatte mit
Vanity Fair
, trotz geringerer Verkaufszahlen, bei der Kritik mehr Anerkennung gefunden als Dickens und er ließ seit November 1848 in Fortsetzungen den autobiographisch gefärbten Bildungsroman
Pendennis
erscheinen, so dass sich hier die Rivalen auf dem gleichen Terrain begegneten. Danach trennten sich ihre literarischen Wege. Während Dickens ab
Bleak House
einen poetischen Realismus anstrebte, der das Geschehen aus kurzer Distanz in symbolisch suggestiven Szenen erzählt, blieb Thackeray seinem weiten Panoramablick treu, mit dem er seine Figuren in einen historisch-gesellschaftlichen Kontext stellt.
    Im Juli machte Dickens mit seiner Familie zunächst wieder in Broadstairs Urlaub, wechselte dann aber nach Bonchurch auf der Isle of Wight, wo auch John Leech mit seiner Familie den Sommer verbrachte. Von hier aus kümmerte er sich regelmäßig um das philanthropische Unternehmen von Urania Cottage. Außerdem konsultierte er dessen Sponsorin Miss Burdett-Coutts wegen der Schulbildung seinesältesten Sohnes; denn die großherzige Dame hatte ihm angeboten, Charleys Aufnahme in die Eliteschule von Eton zu finanzieren. In Bonchurch blieb Dickens bis Ende September und kehrte am 1. Oktober noch einmal nach Broadstairs zurück. Hier dachte er weiter über die Herausgabe einer eigenen Wochenzeitschrift nach, wofür er in mehreren Briefen Forsters Rat einholte.
    Nach der Rückkehr nach London bot sich Dickens am 12. November wieder einmal Gelegenheit, den Kitzel von Abscheu und Faszination zu erleben, den ihm öffentliche Hinrichtungen bereiteten. Um 8 Uhr früh sollten Frederick Manning und seine Schweizer Frau Maria, die gemeinsam den jungen Liebhaber der Frau ermordet hatten, vor dem Gefängnis in Horsemonger Lane gehängt werden, wofür Dickens zusammen mit Forster, Leech und zwei weiteren Freunden Logenplätze auf dem Dach eines gegenüberliegenden Hauses mietete, die er mit seinen Begleitern um Mitternacht bezog, um das makabre Schauspiel nicht zu verpassen.
    Ende November reiste er mit seiner Frau nach Rockingham Castle zu seinem ersten Besuch bei den Watsons, die er in Lausanne kennengelernt hatte. Hier