Charlie + Leo
»Das erste Treffen des Komitees findet morgen direkt nach der sechsten Stunde im SV-Raum statt. Ach ja, das hätte ich fast vergessen: Das diesjährige Motto für die Party ist Mittelalter . Ich bin mir sicher, dazu wird euch eine ganze Menge einfallen.«
Die drei Mädels quietschen entzückt auf und stecken sofort tuschelnd die Köpfe zusammen.
Mittelalter. Ganz tolles Motto. Noch ein Grund mehr, da nicht hinzugehen. Jede Wette, die drei werden als völlig übertrieben geschmückte Prinzessinnen dort einlaufen und sich feiern lassen bis zum Abwinken.
Aber apropos Prinzessin: Ich drehe meinen Kopf noch ein Stück weiter. Da sitzt sie und starrt gelangweilt an die Decke. Meine schwarze Eminenz. Die böseste und grausamste und erbarmungsloseste aller Prinzessinnen. Das Mädchen, das es durch bloßes Nichtstun geschafft hat, dass ich letzte Nacht nur gefühlte fünf Minuten geschlafen habe. Sie hat mir nicht geantwortet. Und das, obwohl ich geschätzte 1.583.26 7 Mal auf den »Senden/Empfangen«-Button geklickt habe.
Ich habe fast den ganzen Tag vor meinem Monitor verbracht und ihn bis zum Platzen gespannt angestarrt. Mal abgesehen von der halben Stunde, in der ich dann doch plötzlich Hunger hatte und etwas für meinen Vater und mich gekocht habe. Gegessen habe ich dann aber auch vor dem Monitor. Und danach habe ich die nächsten zwei Bilder für meine Peinigerin gezeichnet, um die Zeit totzuschlagen. Ob sie die allerdings jemals kriegen wird, ist mehr als fraglic h – keine Antwort ist schließlich auch eine Antwort.
Als es irgendwann plötzlich kurz vor Mitternacht war und ich kaum noch meine mittlerweile rechteckigen Augen offen halten konnte, habe ich die akustische Mailbenachrichtigung des Computers auf volle Lautstärke gestellt und mich ins Bett gelegt. Keine zehn Minuten später hat mein Computer dann »Sie haben Post!« gebrüllt und ich bin natürlich sofort aus dem Bett gehüpft, nur um festzustellen, dass heiratswillige Frauen aus Russland offenbar überhaupt kein Schamgefühl besitzen. Und das ging dann die ganze Nacht so weiter. Penisvergrößerung, Viagra zum Spottpreis, noch drei schamlose Russinnen und ein sehr netter Bankangestellter aus Südafrika, der zufällig über das Konto eines Verstorbenen gestolpert ist, auf dem sich 14.300.00 0 Dollar befinden, von denen er mir dreißig Prozent schenken wollte, wenn ich ihm dabei helfe, das Konto zu plünder n – alles streng legal natürlich.
Ja, ich weiß, ich bin ja selbst dran schuld. Die Chancen, mitten in der Nacht eine Mail von einem Mädchen zu kriegen, das am nächsten Tag in die Schule muss, waren quasi gleich null. Aber es hätte ja sein können, dass ihr Mailprovider Probleme hatte und alle Mails von diesem Tag erst verspätet weiterleiten konnte. Oder irgendwie so was. Soll ja vorkommen. War aber offensichtlich nicht so, und deswegen sitze ich jetzt hier und bin schon mindestens zweimal eingeschlafen, was aber zum Glück niemand gemerkt hat.
Das Einzige, was noch größer und schwerer zu ertragen ist als die Müdigkeit, ist der Frust. Warum hat sie mir nicht geantwortet? Warum hat sie nicht auf das Bild reagiert? Hat es ihr nicht gefallen? Dann hätte sie ja wenigstens schreiben können, dass es ihr nicht gefällt. Lieber eine negative Antwort, als gar keine.
Die wenigen Minuten, in denen ich wach war, habe ich versucht an ihrem Gesicht abzulesen, ob sie die Mail überhaupt geöffnet hat. Aber außer ihrer offenbar chronisch schlechten Laune gab es da leider rein gar nichts zu lesen. Darum habe ich es aufgegeben, ich bin sowieso viel zu müde zum Lesen. Machtlos muss ich meinen Augen von innen dabei zusehen, wie sie sich langsam wieder schließen. Von mir aus. Soll mir recht sein. Wer schläft, ist wenigstens nicht frustriert.
»Kommen wir nun zur Wahl des Klassensprechers«, höre ich Schubert in einem weit entfernten Land säuseln.
Mist, verdammter. Das wird wohl doch nichts mit Schlafen.
»Oder der Klassensprecherin, natürlich«, fährt Schubert fort. »Gibt es Freiwillige?«
Allgemeines Schweigen und möglichst unbeteiligtes In-die-Gegend-Gucken.
»Vorschläge?«, fragt Schubert.
Lazlos Arm schnellt in die Höhe. Das war sein Stichwort. Alle blicken gespannt in seine Richtung.
»Ja, Lazlo«, sagt Schubert. »Wen schlägst du vor?«
»Marie«, antwortet er breit grinsend. »Ich finde, Marie wäre eine gute Klassensprecherin.«
Fast alle kichern glucksend los. Ausgerechnet Marie. Klassensprecherin zu werden wäre mit
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