Charlie + Leo
mich? Mein Blick wandert mal wieder zur Toilettentür. Sie schließt sich gerade langsam und davor steh t – Leo! Verdammt, wo kommt die denn jetzt auf einmal her? Muss wohl länger auf der Toilette gewesen sein, ich habe jedenfalls nicht gesehen, wie sie hineingegangen ist. Ich wende mein Gesicht schnell wieder von ihr ab und drehe mich ein Stück weiter zur Wand. Sie soll mich nicht sehen, sonst denkt sie vielleicht, ich beobachte sie und würde ihretwegen vor der Mädchentoilette herumlungern, was ja wirklich nicht so ist, aber denken könnte sie es trotzdem und dann hab ich als potenzieller Stalker gleich bei ihr verschissen.
»Als was die zu der Party kommt, steht ja wohl fest«, sagt Antoinette absichtlich laut, damit Leo es auf jeden Fall hört. »Die geht als Hexe, da muss sie sich nicht mal verkleiden!«
Die drei Mädchen lachen laut und gehässig.
»Da muss sie aber aufpassen!«, ruft Viola. »Ich hab gehört, im Mittelalter sind ganz viele Hexen verbrannt worden!«
»Das stimmt«, höre ich Leo sagen. »Meine Urururururururoma wurde 1623 als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
»Aha«, sagt Antoinette trocken. »Der schlechte Geschmack und die Hässlichkeit liegen bei dir also in der Familie.«
Und wieder ein gehässiges Lachen.
»Wisst ihr, weshalb man sie verbrannt hat?«, fragt Leo, ohne eine Antwort abzuwarten. »Es hieß, sie hätte der Frau des Bürgermeisters Syphilis angehext. Und ein paar anderen Frauen, die sie nicht leiden konnten, auch. Wisst ihr, was Syphilis ist? Das ist eine Geschlechtskrankheit, bei der einem Pilze an den Geschlechtsteilen wachsen, die sich dann immer weiter ausbreiten.«
»Igitt, ist ja eklig«, sagt Viola angewidert.
»Und tödlich«, fährt Leo fort. »Die Frauen sind alle gestorben. Und es heißt, meine Urururururururoma hätte auf dem Scheiterhaufen laut gelacht.«
Ein beklemmendes Schweigen liegt in der Luft. Den Mädels scheint die Gehässigkeit im Hals stecken geblieben zu sein.
»Ach, komm«, sagt Nicole irgendwann leise. »Du verarschst uns doch.«
»Nein, echt nicht!«, erwidert Leo. »Ich kann’s sogar beweisen. Ich habe ihr Tagebuch zu Hause, da stehen ganz viele Hexensprüche drin. Ein paar habe ich sogar schon ausprobiert. Deswegen musste ich auch aus Hamburg wegziehen.«
Gott, dieses Mädchen muss man doch einfach lieben, oder?
»Na ja, ich will euch nicht länger mit meiner Familiengeschichte langweilen«, sagt Leo. »Aber danke für den Tipp. Da bin ich überhaupt nicht drauf gekommen, als Hexe zu der Party zu gehen, obwohl es bei mir doch nun echt auf der Hand liegt. Aber wie heißt es doch so schön: Manchmal sieht man den Wald vor lauter Hexenbesen nicht. Ha, ha! Nur ein Witz! Ist natürlich völliger Schwachsinn. Wenn Hexen tatsächlich auf einem Besen durch die Luft fliegen könnten, würde es mit Sicherheit im Buch meiner Oma stehen und ich müsste nicht immer mit dem Scheißschulbus fahren. Na ja, egal, ich geh dann mal weiter, wir sehen uns ja gleich in der Klasse noch. Tschüssi.«
Ich höre, wie Leos Schritte sich entfernen.
»Die ist ja wohl mal komplett durchgeknallt«, bricht Antoinette flüsternd das Schweigen.
»Das stimmt doch alles gar nicht, oder?«, flüstert Nicole zweifelnd.
»Natürlich nicht«, antwortet Antoinette zischend. »Die hat uns verarscht. Aber das kriegt sie zurück, das schwör ich euch.«
»Und was, wenn es doch stimmt?«, fragt Nicole ängstlich. »Ich hab echt keine Lust auf diesen Sillipiss-Kram oder wie das heißt.«
»Blödsinn«, sagt Antoinette. »Diese dumme Kuh ist zwar hässlich wie ein Besen, aber eine Hexe ist die mit Sicherheit nicht. Und die soll bloß aufpassen. Noch mal versucht die nicht, uns zu verarschen, dafür werd ich schon sorgen. Aber jetzt lasst uns lieber wieder über was Wichtiges reden. Es müssen noch jede Menge Entscheidungen getroffen werden. Wann gehen wir Schuhe für die Party kaufen? Heute Nachmittag? Gab es im Mittelalter eigentlich schon hohe Absätze? Und eine Krone brauch ich auch noch! Nein, lieber ein Diadem, Prinzessinnen haben immer ein Diadem auf. Und die hatten doch so komische Hüte im Mittelalter, die Hofdamen, da besorgen wir zwei für euch, das sieht bestimmt ganz toll aus un d …«
Sie sind außer Hörweite. Endlich. Dieses hirnlose Geplapper hält doch auf Dauer kein Schwein aus. Trotzdem war es natürlich Weltklasse, mit anzuhören, wie Leo sie verarscht hat. Aber ungestraft wird Antoinette ihr das mit Sicherheit nicht durchgehen lassen, die
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