Charlie + Leo
Klassenlektüre für das erste Halbjahr habe ich für euch das Buch ›Hip und Hop und Trauermarsch‹ von Jaromir Konecny ausgesucht. Es handelt von einem Jungen, de r …«
… viel zu müde ist, um seinem Lehrer zuzuhören? Sorry, ich bin heute echt nicht aufnahmefähig. Meine Augen befinden sich bereits wieder im Schlafmodus.
5
In der Pause streune ich suchend durch die Gänge. Auf dem Hof ist Marie bestimmt nicht, da lauern viel zu viele Gefahren. Ich komme an der Cafeteria vorbei und werfe einen Blick hinein, aber in der Cafeteria ist sie nicht. Vor dem Lehrerzimmer auch nicht, aber da steht Anja aus unserer Klasse. Ob ich sie einfach fragen soll? Wirkt das nicht verdächtig? Ich meine, nicht dass da plötzlich irgendwelche Gerüchte aufkommen. Charlie Braun hat nach Marie gefragt. Charlie Braun hat völlig verzweifelt nach Marie gesucht. Charlie Braun ist in Marie verliebt. Charlie Braun hat in der Pause mit Marie geknutscht. Charlie Braun und Marie sind zusammen.
Früher auf Kindergeburtstagen hieß das »Stille Post«. Hier an der Schule ist es die stille Pest. Das muss natürlich vermieden werden. Aber ich habe da schon eine Idee. Ich gehe auf Anja zu.
»Hi«, sage ich. »Sag mal, du weißt nicht zufällig, wo Marie ist? Der Schubert sucht sie dringend, irgendwas von wegen Klassensprecher, keine Ahnung.«
»Marie?«, sagt Anja und verdreht dabei die Augen. »Kannst du vergessen. Die schließt sich in den Pausen immer im Klo ein und kommt erst kurz vor dem Gong wieder raus.«
Okay, darauf wäre ich nie im Leben gekommen. Aber macht natürlich Sin n – aus Maries Sicht.
»Was, echt?«, erwidere ich und tippe mir mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Die ist ja wohl total durchgeknallt, oder?«
Das sollte wohl reichen, um klarzustellen, dass ich ganz bestimmt nichts von Marie will.
»Das kannst du laut sagen«, stimmt Anja mir zu.
»Trotzdem, danke für die Info«, sage ich noch und gehe weiter.
Auf dem Mädchenklo. Mist. Da komme ich natürlich nicht an sie ran. Möchte nicht wissen, was die stille Pest fabrizieren würde, wenn ich da als Junge einfach so reinlatsche. Charlie Braun ist zu blöd, um die Kloschilder zu lesen. Charlie Braun kann nur im Sitzen pinkeln. Charlie Braun ist in Wirklichkeit ein Mädchen.
Nein danke, das brauche ich nun wirklich nicht. Aber ich könnte draußen vor der Mädchentoilette warten, bis Marie herauskommt. Ja, das ist ein guter Plan.
Zwei Minuten später stehe ich an der Wand gegenüber der Mädchentoilette und versuche möglichst unauffällig auszusehen. Zum Glück ist direkt daneben die Jungstoilette, sonst würde es mit Sicherheit etwas seltsam aussehen, wenn ich da einfach blöd rumstehe. Ich ziehe mein Handy heraus und tue so, als würde ich irgendetwas darauf lese n – eine verdammt lange SMS oder so. Die Uhr auf meinem Display zeigt mir, dass es in zehn Minuten zur nächsten Stunde gongt.
Immer wieder öffnet sich die Tür der Toilette und Mädchen kommen kichernd oder aufgeregt plappernd heraus oder gehen hinein. Aus den Augenwinkeln sehe ich Antoinette, Viola und Nicole den Gang entlangkommen. Ich drehe ihnen den Rücken zu, keine Lust auf blöde Fragen. Sie kommen immer näher, ich kann Antoinettes Stimme bereits erkennen.
»Ach ja«, schnattert sie. »Und Girlanden brauchen wir auch noch, in Pink, alles muss Pink werden. Mein Kleid wird nämlich auch Pink sein, ich hab da neulich eins in der Stadt gesehen, das ist perfekt für eine Prinzessin, aber ihr dürft dann auf keinen Fall auch Pink tragen, klar? Ich meine, wie sieht das denn aus, wenn da drei Prinzessinnen in Pink auftauchen, das geht doch nicht, dann glauben ja alle, wir wären verwandt oder die bösen Stiefschwestern oder so.«
Meine Güte, atmet die auch mal irgendwann? Die drei bleiben direkt hinter mir stehen.
»Also, ich würde ja am liebsten in Grün gehen«, sagt Viola. »Da hab ich auch schon ein Kleid, das hat einen ganz tollen Ausschnitt und die passenden Schuhe dazu hab ich auch un d …«
»Grün?«, fährt ihr Antoinette dazwischen. »Ey, spinnst du? Grün und Pink, das passt ja überhaupt nicht zusammen, das sieht doch total bescheuert aus, kommt überhaupt nicht infrage, oder, Nicki? Jetzt sag doch auch mal was!«
»Grün, Rot, mir doch scheißegal«, sagt Nicole. »Solang ich nicht so aussehe, wie diese Geschmacksverirrung auf zwei Beinen.«
»Allerdings«, zischt Antoinette. »So würde ich nicht mal tot rumlaufen.«
Wie bitte? Die meinen doch wohl hoffentlich nicht
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