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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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übernahm Mr. Darrow großzügig die Kosten für das Begräbnis. Sie war im Leben eine stattliche Frau gewesen, und der voluminöse Sarg ließ alles nur noch fremdartiger erscheinen. Noch seltsamer verhielten sich die Buben. James hielt meine Hand und zappelte auf seinem Sitz herum und schien sich gar nichtfür so etwas Ungeheuerliches wie den Mord an seiner Nanny zu interessieren. Er weinte nicht, im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Paul, dessen Hemd ganz nass von seinen Tränen war. Ich versuchte, ihn zu trösten – seine Hand zu halten und seine Stirn zu küssen, wie es Nanny Prum immer getan hatte –, aber er wich meinen Berührungen aus und zog es vor, in seinem Kummer allein zu sein.
    Mr. Darrow saß mit starrer Miene auf der anderen Seite der Kinder. Der Blick seiner hellen blauen Augen schien in einer fernen Erinnerung zu weilen. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau war ich in seine Dienste getreten. Ich konnte mir vorstellen, dass ihr Begräbnis nicht viel anders gewesen war als das von Nanny Prum: dieselben Leute, derselbe Friedhof, selbst dieselbe Jahreszeit. Der Tod, so schien es, war eine eigene Jahreszeit, ein ungeliebter Feiertag, den man verdrängt wie andere unerfreuliche Pflichten und der plötzlich wieder da ist und uns daran erinnert, dass die Zeit vergeht, das Leben sich verändert und nichts ewig gleich bleibt.
    Am nächsten Tag kümmerten Mrs. Norman und ich uns um Nanny Prums Hinterlassenschaft. Konstabler Brickner und seine Männer hatten ihr Zimmer bereits nach Hinweisen durchsucht, obgleich er nach wie vor überzeugt war, dass ein wildes Tier sie angegriffen hatte. Sie waren sorglos und ungeniert zu Werke gegangen. Die Kommodenschubladen lagen ausgeleert auf dem Bett, und ihr Inhalt war über den Boden verstreut.
    Nanny Prum besaß sehr wenige Kleidungsstücke, nur zwei streng hochgeschlossene schwarze Baumwollkleider und ein kastanienbraunes Samtkleid, das sie zu besonderen Anlässen trug. Es gab auch Bücher: eine King-James-Bibel, ein Märchenbuch und ein Liebesdrama in drei Teilen. Ich fand eine kleine Holzkassette neben ihrem Bett, das einige Zettel, Schmuckstücke und verblasste Fotografien enthielt. Ich nahm an, es warihr Schatzkästchen von Erinnerungen, in dem sie vielleicht jeden Abend kramte, bevor sie zu Bett ging, und dabei an all die Kinder dachte, die sie aufgezogen hatte und die nun irgendwo draußen in der Welt waren, eigene Familien hatten und eigene Erinnerungen. Vielleicht fand sie den Gedanken tröstlich, dass diese nun erwachsenen Kinder manchmal an sie dachten, wenn sie auf ihre Jugend zurückblickten, und dass sie dabei vielleicht lächelten.
    »Ich habe sie gewarnt.« Mrs. Norman stand im Schatten des Kleiderschrankes, zog die Kleider von den Bügeln und faltete sie mit mechanischen Bewegungen ihrer dünnen, an Vogelkrallen erinnernden Finger zusammen. Sie wandte sich bei diesen Worten nicht zu mir um. Der Schrank war nun leer. Der Inhalt von Nanny Prums Zimmer begann nach und nach zu verschwinden.
    »Was haben Sie ihr gesagt?«
    Die Haushälterin erstarrte einen Moment und reckte den Hals in Richtung der Tür. Sie lauschte den Geräuschen, die das Haus füllten: tratschende Frauen, die unterdrückt kicherten, schwere Schritte auf knarrenden Holzdielen, ein entferntes Husten, Metall, das über Holz scharrte   … Ihre Schritte stimmten in diesen Reigen ein, als sie zur Tür ging und diese mit einem Klicken schloss. Mrs. Norman nahm mich am Arm, und wir setzten uns aufs Bett. Sie beugte sich dicht zu mir und sprach mit leiser, eindringlicher Stimme.
    »Dass sie in großer Gefahr sei.« Eine Woge von Furcht überschwemmte mich, als sie fortfuhr, und ich konnte an nichts anderes denken als an den Mann in Schwarz neben Nanny Prums Leiche, der auf Susannah losgehen wollte. »Jemand muss ein Auge auf diese Familie haben, jetzt, da uns die liebe Mrs. Darrow verlassen hat, Gott sei ihrer armen Seele gnädig, und ich tue auf meine Weise, was ich kann. Ich räume das Nachmittagsteegeschirr auf, jeden Tag, und man kann einfach nicht verleugnen,was man in den Blättern sieht.« Sie schürzte ihre Lippen und wirkte einen Moment lang erschöpfter, als ich sie je zuvor gesehen hatte. »Jemand muss auf sie aufpassen und sie, wenn nötig, vor den Dingen warnen, die bevorstehen. Etwas Böses lauert. Ich habe getan, was ich konnte, ich warnte sie, aber sie hörte nicht auf meinen Rat.«
    Das war das längste Gespräch, das ich in meinen neun Monaten auf Everton mit der

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