Charlotte
ich.
Sie warfen mir verwunderte Blicke zu. Ich wedelte mit dem Kärtchen. »Du solltest endlich mal diese Bücher lesen«, meinte Nel.
»Ohne dich wäre ich nichts«, sagte Eddy. »Ich brauche deinen Grips.«
»Ich ziehe ja nicht nach Sansibar«, erwiderte Nel.
Ich hüstelte. »Ich bin schon wieder weg. Ich wollte nur mal kurz meine Frau küssen und fragen, ob sie heute Abend Zeit hat für den Runing-Auftrag, damit ich mit Sorry etwas ausmachen kann.«
»Kein Problem«, sagte Nel.
Eddy warf mir einen etwas feindseligen Blick zu, als vermute er, dass die Ursache für Nels Desertion leibhaftig vor ihm stand. Ich klopfte ihm auf die Schulter seines blauen Anzugs und sagte tröstend: »Sie ist eine schwierige Frau.«
»Allmählich vermisse ich die Arbeit«, sagte CyberNel, als wir über die Brücke von Vianen fuhren.
»Dann hättest du nicht Mutter werden dürfen.«
»Dann hättest du Hanna nicht.«
»Stimmt. Lass uns doch einfach Corrie dazuadoptieren.«
»Haben wir doch schon.«
Wir schwiegen eine Weile. »Nein, es liegt an etwas anderem«, sagte Nel dann. »Die Computerarbeit für diese Firmen wird mir zu eintönig. Auf den ersten Blick sieht es interessant aus, aber die eigentliche kreative Arbeit ist schon getan und das Einzige, was sich ändert, sind die Adressen. Es dauert nicht mehr lange und ich schicke nur noch meine Assistenten hin, trage selbst dreiteilige Direktorenanzüge, fahre mit einem dicken schwarzen Audi vor und präsentiere meine Rechnung, genau wie Eddy.«
»Ich habe immer geglaubt, ein Kind erlöse Frauen von jeglicher Unruhe.«
»Du bist ein Dinosaurier.«
Ich lachte. Wir fuhren in Richtung Hilversum, nahmen die Abzweigung Blauwkapel und bogen in die Alleen von Overvecht ein.
Die Leute saßen vor dem Fernseher und schauten die Acht-Uhr-Nachrichten, das Fußballspiel oder irgendeine der Voyeurshows à la Big Brother. Ich konnte Nels Unruhe verstehen. Sie war eine Fahnderin, vielleicht mehr noch als ich. Sie brauchte die Aufregung, die Jagd, und wenn sie sechs Kinder gehabt hätte.
»Also doch Winter & Co.«, sagte ich.
»Und einmal im Jahr wie eine ganz normale Familie mit Hanna in Urlaub.«
Ich fand einen Parkplatz am Wolfsdreef. Wir spazierten zum Wohnhaus und stiegen die Treppe hinauf zur ersten Galerie.
Vor Nummer 214 blieben wir stehen und betrachteten die bunt karierten Gardinen. »Hier war Charlotte ein paar Monate Baby«, sagte ich.
Ein kleines Mädchen kam in die Küche und blieb erschrocken stehen, als sie uns am Fenster sah. Ich lächelte und winkte und wir gingen rasch weiter, bevor sie Meneer oder Mevrouw G. H. Sorgdrager alarmieren konnte.
Sprenger machte auf. Ich stellte ihm Nel vor und wir folgten ihm ins Wohnzimmer, wo ich dieselbe Zeremonie für Charlotte senior wiederholte.
»Sind Sie auch Privatdetektivin?«, fragte Charlotte.
»Ja, Mevrouw«, antwortete Nel voller Uberzeugung. »Mein Hauptgebiet sind Computer. Das kommt daher, weil mein Vater Fahrradmechaniker war. Bitte sagen Sie doch Nel zu mir.«
»Fahrradmechaniker?«
»Ja, er glaubt, ein Computer müsse ein Kinderspiel sein für jemanden, der Fahrräder mit vierundzwanzig Gängen reparieren kann.«
Nel lachte ansteckend und ging auf den schwarzen Labrador zu, der in einem großen Korb unter dem Fenster lag. Sie streichelte das Tier über den Kopf und sagte: »So einen Hund möchte ich auch.«
»Das mit den Gängen war aber übertrieben«, sagte ich.
Nel lächelte Charlotte zu. »Max hat keine Ahnung von Fahrrädern.«
»Ein Hund kommt mir nicht ins Haus«, erwiderte ich.
Nel war ganz in ihrem Element. Sie war ein warmherziger Mensch, und schon nach fünf Sätzen und wenigen Blicken waren sie und Charlotte auf einer Wellenlänge. Eine Minute später holte Nel Fotos von Hanna hervor und die Frauen verschwanden wie Tante und Lieblingsnichte in der Küche. Sprenger fand eine Silberschale mit belgischen Pralinen im Büfett und bot mir schon mal eine an.
»Du hast eine nette Frau«, sagte er. »Das macht es für Charlotte einfacher. Hast du sie absichtlich mitgebracht?«
»Mm, ich liebe belgische Pralinen.«
Sprenger lächelte und nahm seinen alten Platz in der Sofaecke ein. »Charlotte hat keine Kinder. Sie war nie verheiratet, hat aber zwischendurch mit jemandem zusammengewohnt, so wie wir beide jetzt, hoffentlich für immer. Sie ist eine dieser Frauen, die zu lange an ihrer Karriere gebastelt haben und irgendwann feststellen, dass es zu spät ist. Sie hätte noch schwanger werden
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