Charlotte
seinem Direktionsbüro ging er mechanisch die Postmappe durch, ein in Leder gebundenes Exemplar mit leuchtend bunten Löschpapierblättern, das er letztes Jahr von Lily zu Nikolaus bekommen hatte. Er besprach den Tagesplan mit seiner Sekretärin und einige Budgetfragen mit seinem Steuerberater. Um elf Uhr war er allein mit van Loon und dem französischen Dossier. Er dachte bei sich, dass er unbedingt die Frage der Geburtsurkunde klären musste, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er das anfangen sollte.
»Du hattest Recht, was die Dänen anging«, sagte van Loon. »Die Sache würde uns nur Geld kosten.«
»Ich habe dein Schreiben eben unterzeichnet.«
Runing konnte sich sein Unternehmen nicht ohne van Loon vorstellen, der unter einem zu hohen Blutdruck litt und schon längst in Frührente hätte gehen sollen. Er arbeitete in erster Linie deswegen weiter, weil seine Frau, mit der er keine Kinder hatte, ihn abends mit ihrem Gejammer über eine eingebildete Krankheit nach der anderen aus dem Haus hinaus und ins Casino trieb. Runing wusste, dass sein Freund, der zugleich seine rechte Hand war, hauptsächlich von seiner Gattin in die Spielsucht getrieben worden war, die immer stärker von ihm Besitz ergriff, ihn viel Geld kostete und ihm aufs Herz schlug.
»Was hältst du von den Franzosen?«
»Die Immobilien sehen gut aus, allerdings nur die Gebäude an sich, nicht das Interieur. Erstklassige Lagen in Straßburg und Reims, ein baufälliges Gebäude in Vichy. Dazu noch zwei sehr schöne Landhotels in der Bourgogne. Außer dem baufälligen Kasten sind alle restauriert. Durieux ist überzeugt, dass er durch schlechtes Management vor Ort in Schwierigkeiten geraten ist, aber Stan und Mies Geling haben hier und da inkognito gewohnt und wir sind einhellig der Meinung, dass die Probleme anderswo liegen.«
»Wo denn?«
Van Loon setzte seine Brille ab und rieb sich über die rote Nase. »Es gibt zwei Hauptprobleme, die beide mit Claude Durieux zusammenhängen. Er betreibt einen Catering-Service für Unternehmen und Fluggesellschaften. Vor zehn Jahren hat er die Hotelgruppe übernommen, obwohl er von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Er ließ die Hotels von einer Innenarchitektin einrichten, die so etwas wie Neo-Ikea-Firmenkantinen daraus gemacht hat, mit scheußlichen Farben und geschmackloser Ausstattung. Die Dame ist ein Protegé von ihm und wird heute Nachmittag auch dabei sein, sei also ein bisschen vorsichtig. Jedenfalls übernachten momentan nur noch Spesenritter bei ihnen, die nichts weiter als einen Happen zu essen und ein Bett wollen und denen die Höhe der Rechnung egal ist. Das zweite Problem sind die Restaurants. Durieux investiert kein Geld in Köche und seine Firma liefert sämtliche Speisen tiefgefroren. Eine seiner Bedingungen wird sein, dass das so bleibt, aber es ist nicht besser als Flugzeugfraß und davon müssen wir weg.«
»Du hältst die Sache also für aussichtsreich?«
Van Loon lehnte sich zurück. »Schon allein wegen der Lage der Häuser wäre es eine Schande, sich das Geschäft entgehen zu lassen. Der Preis ist in Ordnung. Das Catering-Unternehmen hat nach dem berüchtigten elften September Rückschläge hinnehmen müssen, aber Durieux ist noch aus anderen Gründen klamm. Deshalb fordert er außer Anteilen auch vier Millionen cash. Die kann ich schon auftreiben, wenn du die Sache beim Aufsichtsrat durchboxt. Vorteilhaft für uns wäre zudem, dass die französische Regierung den hohen Mehrwertsteueranteil, der derzeit für Gastronomiebetriebe gilt, mit Sicherheit auf den niedrigsten Satz senken wird. Die Renovierungen können wir über unsere eigene Bank finanzieren, ich habe mich schon anhand einer groben Überschlagsrechnung von Stan Kellis erkundigt.«
»Wenn Durieux nur eine Minderheit hält, haben wir das Sagen.«
»Stimmt. Aber das Catering wird er garantiert zur Sprache bringen und eventuell wird er deswegen Schwierigkeiten machen.«
»Du bist doch heute Nachmittag dabei?«
»Ja, aber ich komme später. Maaike liegt wegen einer Endoskopie im Krankenhaus, ich muss kurz bei ihr vorbeischauen.«
»Nichts Ernstes, hoffe ich?«
»Ich weiß es wirklich nicht.« Van Loon seufzte. »Ich bin ja sowieso kein besonders guter Golfspieler.« Er wartete auf eine Reaktion, die jedoch ausblieb.
Runing nickte nur. Er klappte die Mappe mit den Unterlagen zu und schob sie über den Tisch.
Van Loon trank seinen Kaffee, nahm die Mappe und klopfte damit auf die Tischkante. »Ich hoffe, du bist heute
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