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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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weiß nicht«, flüsterte sie.
    »Streitest du dich oft mit Leonoor?«
    »Ich kann dort nicht bleiben«, sagte sie. »Nicht jetzt, wo meine Mutter nicht mehr da ist.«
    Er sah, dass ihr das Wort nicht leicht über die Lippen kam. Sie hatte immer zwei Mütter gehabt, nicht eine besondere. »Um dich in Schutz zu nehmen?«
    Sie schüttelte den Kopf, wollte nicht darüber reden.
    Wieder sah Runing im Geiste Bilder vernachlässigter Kinder vor sich. »Ich versuche ja nur, mir eine Vorstellung zu machen, bevor ich mich mit Leonoor treffe«, erklärte er. »Darüber, wie euer Familienleben funktionierte …«
    »In der letzten Zeit haben sie sich oft gestritten«, gab Charlotte zu. »Nicht in meiner Gegenwart, aber ich sah es ihren Gesichtern an, wenn ich nach Hause kam.« Ihr Tonfall veränderte sich, als fiele ihr dieses Bekenntnis schwer, als wolle sie aber andererseits dem Mann, den sie für ihren Vater hielt, nichts vorenthalten. »Sie hatten ja Zeit genug, sich zu streiten, obwohl ich nie wusste, weswegen. Inzwischen denke ich, es ging vielleicht um Sie.«
    Durch das offene Fenster hörte er den Mercedes vor dem Haus und kurz darauf die Stimmen von Harry und Gwenaëlle im Flur. »Wir müssen los«, sagte er. »Bist du satt?«
    Sie nickte und er stand auf. »Harry bringt dich zum Bahnhof, einverstanden?«
    »Ich kann auch mit dem Bus …«
    »Unsinn. Warte, du musst in Utrecht umsteigen, da kann er dich genauso gut bis nach Oosterbeek bringen. Du kannst schon mal Bescheid sagen, dass du in einer halben Stunde bei der Arbeit bist.« Er deutete mit einem Nicken zum Telefon auf dem Büfett und verließ die Küche.
    Gwenaëlle und Harry waren in der Diele. »Die junge Dame verlässt uns«, sagte er zu Gwenaëlle. »Wären Sie so nett, ihr zum Mittag ein paar belegte Brötchen zurechtzumachen?«
    Gwenaëlle eilte in die Küche. Er hörte Charlotte telefonieren, und ihm wurde bewusst, dass er sich unwillkürlich wie ein besorgter Vater benahm. Das Mädchen rief automatisch solche Gefühle in ihm wach.
    »Harry, ich nehme den Honda und komme zum Mittagessen nicht nach Hause. Heute Nachmittag muss ich zum Golfplatz, aber ich fahre selbst, denn danach habe ich in der Nähe eine private Verabredung. Dafür können Sie heute Morgen die junge Dame nach Oosterbeek bringen.«
    Runing nickte Charlotte zu, die mit ihrer Tasche über der Schulter aus der Küche kam.
    Harry begrüßte Charlotte und fragte: »Haben Sie Gepäck mit?«
    Sie zupfte am Träger ihrer Tasche. »Das ist alles. Aber Sie brauchen mich nicht zu siezen, ich heiße Charlotte. Mache ich Ihnen auch keine Umstände?«
    »Überhaupt nicht«, antwortete Harry freundlich und ging hinaus.
    »Mademoiselle!« Gwenaëlle kam mit einer gefüllten Papiertüte aus der Küche gerannt. »Hier, für heute Mittag.«
    »Oh, aber …« Charlotte errötete, während Gwenaëlle ihre Umschlagtasche öffnete und die Brötchen hineinsteckte. »Ich werde hier ja verwöhnt wie eine Prinzessin«, sagte sie dann. »Bonjour.« Sie hielt Gwenaëlle die Hand hin, die diese überrascht schüttelte. »Vielen Dank für das leckere Frühstück. Bis bald!«
    Bis bald, dachte Runing.
    Er begleitete das Mädchen nach draußen. Harry hielt die hintere Tür des Mercedes auf. Charlotte blieb stehen.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Runing war womöglich noch ratloser. Er wusste, dass er ihr hätte sagen sollen, dass sie sich keine Illusionen machen dürfe, weil dies alles auf einem peinlichen Miss-Verständnis beruhte. Doch er brachte es nicht über die Lippen und verachtete sich dafür, dass er so feige war.
    Er nahm ihre Hand und sagte: »Ich hoffe, dass alles gut wird.«
    Sie kam näher und er erkannte, dass sie ihn küssen wollte. In dem kurzen Augenblick, in dem er zögerte, bevor er sich zu ihr beugte und ihr die Wange hinhielt, lag in ihren Augen ein Blick, als würde einer Ertrinkenden über das Eis eine Leiter zugeschoben. Er wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte, und sie küsste ihn erst auf beide Wangen und dann noch ein drittes Mal, wie seine Töchter es taten.
    Runing ließ sie los. Sie trat zurück, und ihr fröhliches Lächeln erinnerte ihn ein wenig an Elisabeth. Jetzt wusste er auch wieder, woher der florentinische Anhänger stammte. »Vielen Dank«, sagte sie, sprang um den Mercedes herum und öffnete die Beifahrertür. »Darf ich vorne sitzen?«
    Sie stieg neben Harry ein und winkte, als sie losfuhren.
     
    Runing fiel es schwer, sich zu konzentrieren. In

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