Charlotte
Runing, der offenbar als Erster abgeschlagen hatte, allein zum nächsten Loch ging, als wolle er den dreien die Gelegenheit zu einer ungestörten Unterhaltung bieten.
Van Loon ließ die Franzosen unbeachtet und ging weiter zum letzten Feld. Runing stand auf seinen Golfschläger gestützt wartend auf der gegenüberliegenden Seite, nicht weit von dem halb zwischen hohen Sträuchern verborgenen Zaun, der den gesamten Komplex umgab. Runing sah van Loon durch die lichte Hecke treten und hob die Hand zum Gruß. Van Loon winkte zurück. Im selben Augenblick ertönte ein lauter Knall und Runing stürzte zu Boden.
Van Loon blieb stehen und fasste sich unwillkürlich an die Brust, in dem Versuch, sein wie rasend hämmerndes Herz zu beruhigen.
Die Franzosen stießen Schreie aus und rannten hin, als Letzte die Frau mit der Zigarette. Van Loon kam zur Besinnung. »Warten Sie!«
Er rannte über das Feld. Runing lag zuckend im Gras, sein Kopf eine blutige Masse. Durieux kniete neben ihm. Die Frau wandte ihr Gesicht ab, begann sich zu übergeben und entfernte sich mit unsicheren Schritten.
»Ein Krankenwagen!«, rief van Loon. »Vite!«
Der andere Franzose nickte: »J’y vais«, und rannte zum Clubhaus.
»II est mort«, sagte Durieux.
Van Loon drängte ihn beiseite und kniete sich neben Runing, der jetzt still dalag. Sein Kopf bot einen grausigen Anblick. Durieux war aufgestanden. »Wir können nichts mehr für ihn tun«, sagte er. »Wir treffen uns am Eingang.«
Van Loon blieb allein zurück. Blut rann aus Runings Kopf, klebte am Gras. Van Loon legte eine Hand auf das Hemd seines Chefs und Freundes und murmelte: »Otto.« Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
4
Van Loon war zweimal zuvor im Elternhaus Heleen Runings gewesen und beide Male hatte er sich unbehaglich gefühlt. Das Haus der Runings in Culemborg war größer und luxuriöser, aber die Villa in Bilthoven strahlte selbstverständlichen Reichtum und alten Adel aus, jene Art von Vornehmheit, zu der Stühle mit altrosa Sitzpolstern und zu dünnen Beinen, antike Gemälde und eine gestreifte Tapete gehörten. Obwohl er inzwischen sechzig Jahre alt war und mehr als genug von der Welt gesehen hatte, vermittelte ihm diese Atmosphäre stets das unangenehme Gefühl von Hörigkeit und Unterlegenheit.
Die Haushälterin tat, als erkenne sie ihn nicht. »Ja bitte?«
»Ich möchte zu Heleen Runing«, sagte er. »Mein Name ist van Loon.«
»Einen Augenblick, ich werde Meneer Bescheid sagen.«
»Aber ich wollte nicht zu ihm, sondern zu Mevrouw Runing.«
Die Haushälterin nickte. »Bitte folgen Sie mir.«
Sie schloss die Haustür hinter ihm, ging an ihm vorbei und führte ihn durch eine Bleiglastür hindurch über Perserteppiche in ein düsteres, muffiges Nebenzimmer mit einem kleinen Fenster, in dem ein antikes Sofa stand. Darüber hing ein dunkles Ahnenporträt. Die Haushälterin zeigte auf das Sofa und den Stapel Zeitschriften auf dem polierten Beistelltisch und schloss die Tür, bevor er protestieren konnte. Verflixt nochmal, ein Wartezimmer!, dachte van Loon.
Verärgert blieb er stehen, eine Minute, zwei Minuten. Dann ging er hinaus in die Diele und warf einen Blick auf weitere dunkle Porträts, auf die massive Holztreppe und den geäderten Marmor auf dem Dielenfußboden. »Hallo?«
Schritte im Obergeschoss. Stangeveit kam die Treppe herunter, ein magerer siebzigjähriger Patrizier in einer schlabberigen Kordhose und einem grünen Strickpullover. Kurzsichtig beäugte er den Besucher. »Ah. Meneer äh …«, als sei sein Name zu schwierig, um ihn zu behalten.
»Van Loon.«
»Ja, natürlich, von der Firma meines Schwiegersohnes.« Stangeveit machte nicht gerade den Eindruck eines trauernden Schwiegervaters. Er hieß natürlich ›van‹ und dazu noch alles Mögliche außer Stangeveit, doch in der herablassenden Nonchalance seiner Kreise reichte offenbar einer der vielen Namen aus. »Ich glaube, meine Tochter ruht noch, es war natürlich ein Schock für sie.«
»Heleen hat mich angerufen und mich gebeten zu kommen«, entgegnete van Loon.
»Nun, vielleicht können Sie …« Stangeveit schaute stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr.
»War die Polizei schon hier?«, fragte van Loon, bevor Stangeveit ihm vorschlagen konnte, es in einer Stunde noch einmal zu versuchen.
»Nein. Es hat zwar jemand angerufen, und soweit ich verstanden habe …« Stangeveit spitzte angewidert die Lippen. »Ich hoffe, dass wir einen Besuch der Polizei in unserem Haus
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