Charlotte
vermeiden können.«
»Ich habe heute noch andere Dinge zu erledigen«, bemerkte van Loon brüsk. »Würden Sie Heleen bitte Bescheid sagen, dass ich hier bin?«
Er sah, wie sich Stangeveits Gesicht aufhellte, und drehte sich um. Lily betrat die Diele. »Onkel Hennie!« Sie rannte an ihrem Großvater vorbei auf van Loon zu. Ihre Augen waren geschwollen, ihr Gesicht gerötet. Van Loon sah Stangeveits missbilligenden Blick, als er Lily in die Arme nahm. »Hallo, Liebes. Es tut mir so furchtbar Leid für euch.«
Lily nickte, den Kopf an seine Schulter gelehnt. »Ist er zu Hause?«, fragte sie flüsternd.
»Er wird heute Nachmittag zurück nach Culemborg gebracht. Ist Jenny auch hier?«
»Sie fährt direkt nach Hause. Mama erwartet dich, komm mit nach oben.«
Stangeveit hüstelte. »Ich weiß nicht, ob deine Mutter Besuch empfangen kann.«
»Das ist kein Besuch, das ist Onkel Hennie.«
Lily nahm ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her die Treppe hinauf, sodass ihr Großvater zur Seite treten musste.
Van Loon bereitete Stangeveits Unbehagen Genugtuung. Er wusste nur allzu gut, dass dieser Mann nie hatte akzeptieren können, dass seine Enkelinnen auch die Töchter ihres Vaters waren. Er konnte es nicht verschmerzen, dass van Loon die direkteste Verbindung der Mädchen zu ihrem toten Vater darstellte und dass sie ihn schon von klein auf Onkel Hennie nannten.
Auf dem Flur im Obergeschoss hielt Lily ihn zurück. »Ich schau mal kurz rein, okay?«
Er wartete, während sie die Tür öffnete. »Onkel Hennie ist da.« Sie schaute sich um. »Komm ruhig rein.«
Heleen stand in ihrer Häkeljacke und einem grauen Rock am Fenster. Das Bett war gemacht, aber vor dem Fenster stand eine Chaiselongue mit einer Wolldecke über der Korblehne. Heleen sah traurig aus und er sah, dass sie geweint hatte. Van Loon küsste sie und klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken. Ihr Atem roch nach Alkohol und er bemerkte ein Glas mit einem Rest Sherry auf der Fensterbank neben dem Stuhl.
»Lily, geh schon mal deinen Koffer packen«, sagte Heleen. »Wir fahren mit Onkel Hennie zurück.«
»Oh, gut«, sagte Lily aus tiefstem Herzen.
Heleen schaute sie an und wandte sich van Loon zu. »Ich möchte sofort nach Hause«, sagte sie. »Harry kann mein Auto später abholen.«
Sie nahm auf der Chaiselongue Platz und blinzelte mit den Augen, als verscheuche sie einen Gedanken. Van Loon setzte sich auf den Bettrand. Er beobachtete, wie sie mit den Fingern über das Weidenflechtwerk der breiten Armlehne fuhr.
»Ich bin so traurig.« Ihre Stimme klang brüchig.
»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Er war mein bester Freund. Er liebte das Leben, und seine Familie stand für ihn immer an erster Stelle.«
Sie nickte. »Du warst doch dabei«, sagte sie. »Hast du etwas gesehen?«
»Ich hörte einen Schuss, ich nehme an, er kam aus dem Gebüsch, er stand nicht weit davon entfernt. Er winkte mir zu und da geschah es.«
»Ging es … schnell?«
Sie meinte, ob er gelitten habe. »O ja«, antwortete er. »Otto hat nichts gemerkt.«
Wieder schwieg sie einen Moment lang. »War es dieser Molenaar?«
Er zuckte mit den Schultern.
Sie strich sich über die Knie. »Du hast doch mit der Polizei gesprochen?«
»Ja, kurz. Möchtest du, dass ich heute Nachmittag mit dabei bin?«
Sie nickte. »Musst du Maaike denn nicht vom Krankenhaus abholen?«
Typisch, dass Heleen daran dachte. »Ich habe ihre Schwester angerufen.«
»Hat Otto …« Sie stockte, weil der Name die Erinnerung an den Mann wachrief, der nicht mehr existierte. »Du weißt, warum ich hier bin?«
Er hoffte, ihren Schmerz lindern zu können. Die Sache war ihm äußerst unangenehm. »Wissen deine Eltern davon?«
»Nein, und ich habe glücklicherweise den Mädchen ans Herz gelegt, nicht darüber zu reden. Deshalb will ich auch so schnell zurück nach Culemborg. Das geht niemanden etwas an. Sein Tod hat doch nichts damit zu tun?«
»Nein«, sagte van Loon. »Fällt es dir sehr schwer, darüber zu reden?«
Sie schüttelte den Kopf, wirkte aber nicht überzeugt, und van Loon beschloss, nicht auf Details einzugehen. »Otto hat mir gestern Morgen erklärt, warum dieses Mädchen nicht seine Tochter sein kann und dass die Geschichte auf einem Missverständnis beruht. Ich glaube, dass er die Wahrheit gesagt hat, und das lässt sich auch beweisen.«
»Es ging nicht um das Mädchen«, erwiderte Heleen.
»Ich verstehe.«
Ihrem Gesichtsausdruck nach war sie sich dessen nicht so sicher.
»Ich hoffe,
Weitere Kostenlose Bücher