Charlotte
die Hintergründe dieser Forderung zu untersuchen.«
»Charlotte ist meine Tochter«, sagte sie.
»Was die Biologen wahrscheinlich bestreiten würden.«
Sie blieb sitzen. »Warum lassen Sie sie nicht in Ruhe? Sie kann Ihnen keine Auskunft geben. Ihre Mutter ist tot und jetzt hat sie auch noch ihren Vater verloren. Schicksalsschläge genug, mit denen sie fertig werden muss.«
Die dünne Laufplanke kippelte unter meinem Gewicht. »Aber anscheinend hat es sie nicht so sehr mitgenommen, dass sie nicht unverzüglich einen Anwalt hätte beauftragen und einen Teil des Erbes fordern können«, sagte ich.
»Finden Sie das so verwunderlich? Dieser Mann hat sich nie um sie geschert.«
»Wusste sie das denn?«
»Sie hätte es gewusst, wenn er sich um sie gekümmert hätte. Dann hätte sie ein schöneres Zuhause, bessere Kleidung und vielleicht sogar ein eigenes Pferd gehabt. Sie liebt Pferde.«
»Vielleicht könnten Sie mir dabei helfen, einige Fragen zu klären.«
»Ich möchte das Reden lieber unserem Rechtsanwalt überlassen.«
»Unserem?«
Die Frau zuckte gleichgültig mit den Schultern, wandte sich wieder ihrem Buch zu und las weiter.
»Es hieß andeutungsweise, dass man sich mit Ihnen durch eine Zahlung in Höhe von einer Million Euro einigen wolle«, sagte ich daher ins Blaue hinein.
Der billigste Köder wird meist am einfachsten geschluckt. Ich sah die eine Million Euro über ihr Profil wandern, ganz kurz, bevor sie sich wieder entspannte und in ihre gleichgültige Pose zurückfiel. Sie legte ihren Zigarillo auf einen Glasaschenbecher, der neben ihrem Stuhl auf dem Deck stand. »Er war reich«, sagte sie. »Wenn die einen Vergleich anstreben, wird das Angebot vermutlich zu niedrig sein. Was wollen Sie eigentlich?«
Ich hatte das Ende der Laufplanke erreicht und hielt mich an der dünnen Reling rund um das Achterdeck fest. »Der Regelung steht lediglich die Frage im Wege, ob das Mädchen tatsächlich Runings Tochter ist. Ich bezweifle, dass Ihr Rechtsanwalt darüber informiert ist. Sie wollen nicht, dass ich mit Charlotte spreche, und Sie selbst wollen auch nicht mit mir reden. Dann sagen Sie mir doch, wen ich sonst fragen soll, die Nachbarn vielleicht?«
Sie stand nicht auf, reichte mir nicht die Hand. Sie stieß einen müden Seufzer aus und zeigte auf einen anderen Gartenstuhl. Eine der Plastikstreben in der Rückenlehne war gebrochen, als habe jemand damit auf die Reling oder irgendjemandem auf den Kopf geschlagen. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Nein danke.« Ich setzte mich vorsichtig auf den Stuhl und lächelte versöhnlich. »Ich trinke ohnehin zu viel Kaffee, eines Tages werden wir noch alle daran sterben. Olivenöl und Rotwein sollen angeblich gesünder sein.«
Sie musterte mich kühl und bot mir weder Wein noch Olivenöl an. Sie hatte regelmäßige Gesichtszüge, nicht unattraktiv, wenn man es etwas maskulin mochte. »Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Leonoor Brasma.«
»Waren Sie die Partnerin von Elisabeth Bonnette?«
»Ja.«
»Wohnten Sie bereits in der Wohnung in Utrecht mit ihr zusammen, als Elisabeth noch bei der Runing Hotelverwaltung arbeitete?«
»Ja. Warum?«
Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche meines Jacketts. »Charlotte wurde am 24. Mai 1984 geboren. Elisabeth hat mit Wirkung zum 1. Mai 1983 gekündigt«, begann ich. »Runings Witwe behauptet, ihr Mann habe Elisabeth danach nicht mehr wiedergesehen.«
»Und natürlich glauben Sie der erstbesten voreingenommenen trauernden Witwe mehr als einer lesbischen Xanthippe.«
»Diesen Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört.«
»Nun, Ihre Vorurteile sind genauso unzeitgemäß.«
»Dann dürfen Sie mich gerne eines Besseren belehren«, erwiderte ich. »Vielleicht dauert eine Schwangerschaft bei lesbischen Xanthippen ja länger als gewöhnlich?«
Unwillkürlich lachte sie kurz auf. »Na schön, fragen Sie, was Sie wollen.«
»Seit wann wohnten Sie mit Elisabeth zusammen?«
»Ich bin Anfang 1982 bei ihr eingezogen.«
»Elisabeth war also bisexuell?«
Sie nickte.
»War das kein Problem für Sie?«
»Nein.« Ihre Kiefermuskeln spannten sich.
»Ich bin Laie auf diesem Gebiet, wie Sie schon bemerkt haben. Hätten Sie mehr Probleme gehabt, wenn es eine andere Frau gegeben hätte?«
»Was spielt das für eine Rolle? Eis liebte auch diesen Mann. Sie wollte ein Kind. Otto hatte ihr versprochen, sich von seiner Frau scheiden zu lassen.«
»Dann hätten Sie sie verloren.«
»Uns wäre schon etwas eingefallen.«
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