Charlotte
mehr belastet hatte, als sie eben vorgegeben hatte, und dass sie sehr wohl eifersüchtig gewesen war. Ja, sie war es bis heute, denn Otto hatte Eis etwas geschenkt, was sie ihr selbst nie hätte geben können.
»Was hielten Sie von Otto?«
»Ich fand ihn unzuverlässig, und er war ein Schwächling. Er hat Eis im Stich gelassen.«
»Wissen Sie warum?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das alte Lied. Seine Frau wurde schwanger mit dem zweiten Kind. Das meine ich damit, dass er ein Schwächling war. Er nahm, was er kriegen konnte, konnte sich aber nicht entscheiden. Irgendwann musste Eis für ihn eine Entscheidung treffen. Sie hat die Beziehung beendet.«
»Aber er hat seine Tochter gekannt?«
»Natürlich, als Baby. Ich war bei der Geburt dabei, in einer Klinik in Utrecht. Otto ist gekommen, sobald Eis und das Baby zu Hause waren. Er hat Fotos von dem Kind gemacht und er ist mit mir zusammen ins Rathaus gegangen, um sie anzumelden.«
»Aber das ist gesetzlich verboten, wenn man mit einer anderen Frau verheiratet ist«, wandte ich ein.
»Ich kenne mich da nicht so aus, aber anscheinend ging es doch, jedenfalls damals, er hatte es im Gesetzbuch nachgesehen. Das Kind erhielt den Nachnamen von Eis, der leiblichen Mutter. Der Name des leiblichen Vaters kann auf der Geburtsurkunde eingetragen werden, wenn er das Kind bei der Anmeldung anerkennt. Er war in Culemborg gemeldet und dort wäre ihm das niemals gelungen, aber in Utrecht hatten sie keine Unterlagen über ihn und er brauchte als Vater nur seinen Namen, Vornamen, Wohnort und Beruf zu nennen, sonst nichts.«
»Otto wusste also, dass er sich der Urkundenfälschung schuldig machte? Es brauchte doch nur irgendjemand anzugeben, dass er verheiratet war, und schon wäre das Dokument ungültig gewesen. Seine Witwe kann das auch heute noch tun. Wozu war das gut?«
»Eis wollte es so. Otto tat damals noch so, als wolle er sich auf jeden Fall von seiner Frau scheiden lassen. Ich glaube, dass Eis ihm schon da nicht mehr ganz vertraute. Sie wollte jedenfalls, dass Charlotte später erfahren sollte, wer ihr Vater war, und Gentests gab es damals noch nicht.«
»Aber warum hat Charlotte es dann nie erfahren?«
»Das ist meine Schuld.«
Leonoor war wirklich schnell bereit, alle Schuld auf sich zu nehmen. Ich schaute sie an, mit ihrer weiten, oberflächlich gebügelten beigefarbenen Bluse und den länglichen Ohrringen, Rechtecken aus geschliffenem Glas, zehn auf jeder Seite. Sie hatte ihre Augenbrauen gezupft und nachgezogen, mit Kajal Lidstriche gemalt, die Wölbung ihrer Lippen mit dunkelrotem Lippenstift betont. Sie war vom Duft eines altmodischen Parfüms umgeben. Patschuli.
Ich hatte keine Ahnung, wie lesbische Beziehungen funktionierten, aber dem Klischee nach wäre Leonoor Brasma höchstwahrscheinlich die ›männliche‹ Hälfte gewesen. Sie war plötzlich sehr freigebig mit ihren Informationen geworden, und mir ging unwillkürlich durch den Kopf, dass sie behaupten konnte, was sie wollte, nun, wo weder Runing noch Elisabeth ihr widersprechen konnte. Von Elisabeth wusste ich nur, was van Loon mir erzählt hatte: eine gute Sekretärin, ein richtiger Schatz.
Ich machte mir Notizen und versuchte, mir Einzelheiten einzuprägen, weil ich vermutete, dass Heleen Runing, ungeachtet eventueller Gentests, alles überprüft haben wollte, einfach weil sie ihrem Mann aufs Wort geglaubt hatte und sicher würde wissen wollen, ob ihr Vertrauen berechtigt gewesen war oder nicht.
»Warum Ihre Schuld?«, fragte ich.
Sie erwiderte gelassen meinen Blick. »Eis und ich hatten eine feste Beziehung. Wir waren Charlottes Mütter, wir wollten beide das Kind und wir wünschten uns eine normale Familie, selbst wenn das vielleicht über Ihr Vorstellungsvermögen hinausgeht.«
»Ich bin nicht der Papst«, erwiderte ich. »Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Vater in Ihrer Familie störend gewesen wäre. Aber gewiss hat Charlotte von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr an eine unbefleckte Empfängnis glauben wollen.«
Leonoor ignorierte meinen Sarkasmus. »Charlotte hat immer geglaubt, ihr Vater sei ein anonymer Samenspender gewesen«, sagte sie. »Das gab es damals öfter und kommt übrigens auch heute noch vor, dass zwei Frauen einen Spender suchen, mit dem sie ansonsten nichts zu tun haben wollen. Sie dachte, wir hätten eine solche Suchanzeige in die Vrij Nederland gesetzt.«
»Ihnen und Elisabeth muss doch klar gewesen sein, dass Runing oder seine Frau die so genannte
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