Charlotte
Vaterschaftsanerkennung zu jedem gewünschten Zeitpunkt für ungültig hätte erklären lassen können.«
»Es ging Elisabeth lediglich darum, dass Otto als Vater ihrer Tochter auf einem offiziellen Schriftstück eingetragen war. Damals ahnte noch niemand etwas von DNA-Tests, doch Elisabeth war sich sicher, dass er Charlotte auf irgendeine Weise als sein Kind anerkennen würde, wenn sie sich jemals bei ihm meldete. Und das ist doch auch geschehen?«
»Davon weiß ich nichts. Was für einen Eindruck hatte denn Charlotte?«
»Sie war ganz begeistert. Otto hat sie in ein schickes Restaurant eingeladen und sie hat bei ihm übernachtet. Sie wurde in einem Mercedes zur Arbeit gefahren. Als sie nach Hause kam, war sie überglücklich. Er hat mich sofort angerufen.«
»Hat er zugegeben, dass Charlotte seine Tochter ist?«
»Natürlich. Er hat mich gleich um ein Treffen gebeten, um mit mir gemeinsam zu überlegen, wie er ihr am besten helfen könnte.«
»Und, haben Sie ihn getroffen?«
»Leider nicht. Er ist nicht gekommen.«
»Wann war das?«
Sie schaute auf das Wasser. »Er rief mich an dem Montagabend an, an dem Charlotte bei ihm übernachtete. Er schlug eine Verabredung für den nächsten Tag vor, doch er hatte einen geschäftlichen Termin und konnte erst nach fünf. Wir haben uns in diesem Motel in der Nähe von Arnheim verabredet. Hotel Arnheim. Ich habe über eine Stunde auf ihn gewartet, dann habe ich eine Nachricht für ihn hinterlassen und bin nach Hause gegangen. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass er tot war.«
»Wie haben Sie das erfahren?«
Sie runzelte kurz die Stirn. »Aus der Zeitung, glaube ich.«
»Welche Zeitung lesen Sie?«
Sie machte eine wegwerfende Geste. »Ich kann es auch im Fernsehen gehört haben, was spielt denn das für eine Rolle?«
Ich warf einen Blick auf die von Rheinstürmen gekrümmte Fernsehantenne auf dem Dach des Bootes. »Eines verstehe ich nicht«, sagte ich. »In erster Linie waren Sie doch diejenige, die nicht wollte, dass Charlotte von ihrem Vater erfuhr. Warum haben Sie es sich anders überlegt?«
Sie zögerte keinen Augenblick. »Eis war tot und Charlotte fing an, Schwierigkeiten zu machen.«
»Schwierigkeiten?«
Sie seufzte. »Sie wollte weg von hier.«
»Warum?«
Sie biss die Zähne zusammen und schaute weg. »Junge Leute wollen das nun einmal.«
Es musste mehr dahinter stecken. »Aber Sie waren dagegen?«
»Sie ist meine Tochter.«
Jetzt mach mal einen Punkt, dachte ich. »Aber indem Sie sie auf die Spur ihres Vaters setzten, riskierten Sie doch, dass sie Sie verlassen würde?«
»Nun ja, stimmt schon«, erwiderte sie brüsk und stand auf. »War’s das?«
»Beinahe«, sagte ich. »War diese Kindsteilforderung Ihre Idee?«
»Sie ist meine Tochter, sie hat ein Anrecht auf einen Teil des Erbes.«
Ich stand auf und steckte mein Notizbuch ein. Das Achterdeck war zu klein, um genügend Abstand zu halten, und durch das Patschuli hindurch nahm ich Schweißgeruch wahr. »Haben Sie das Sorgerecht für Charlotte?«
»Wir brauchten so etwas Offizielles nicht, aber der Rechtsanwalt hat gesagt, dass ich jetzt, nach Eis’ Tod, das Sorgerecht zuerkannt bekommen könnte.«
»Würden Sie von dem Erbe profitieren?«
Sie wich mir aus. »Charlotte ist volljährig.«
»Sie braucht Sie also eigentlich nicht mehr?«
Leonoor hielt geduldig meinem Blick stand. »Wir sind eine normale Familie, kein wandelndes Gesetzbuch. Eine Tochter braucht ihre Mutter immer, und ich bin jetzt ihre einzige Mutter.«
»Ist Charlotte eigentlich eine Patentante von ihr oder etwas Ähnliches?«
Sie runzelte die Stirn. »Charlotte?«
»Sie ist doch bestimmt nach irgendjemandem benannt worden?«
»Nein. Wir haben in ein Vornamenbuch geschaut, und Charlotte hat uns am besten gefallen.«
Leonoor klang vielleicht zu sehr nach Beethoven. »Vielen Dank, Mevrouw.«
Eine der in blau-rosa Kittel gekleideten Damen im Albert Heijn von Oosterbeek zeigte mir Charlotte Bonnette, die an der hintersten Kasse saß. Ich schlenderte an der langen Packtheke und einem Fach mit leeren Kartons entlang und blieb vor einer Pinnwand mit Mitteilungen und Anzeigen stehen. Neue Kinderwagen, gebrauchte Waschmaschinen, Babysitter und ein Peugeot Baujahr 1997, in gutem Zustand, nur 56.000 km gelaufen. Jemand bot Yogaunterricht an. Charlotte hatte viel zu tun, nahm Artikel vom Band, schob Strichcodes über das elektronische Lesegerät, bediente die Kasse. Ihre Bewegungen waren effizient, sie* lächelte oft und, wie
Weitere Kostenlose Bücher