Charlotte
machte Anstalten, das Licht einzuschalten. Ich vermutete, dass Sprenger mich absichtlich mit dem Gesicht zum Fenster platziert hatte.
»Mit wem haben Sie gesprochen?«, fragte Charlotte.
»Mit allen Beteiligten, außer mit Ihnen.« Sie war garantiert beteiligt, alles an ihrer Reaktion wies darauf hin, aber was das Wie betraf, tappte ich noch im Dunkeln. »Auch mit ihrer Namensvetterin und mit Leonoor Brasma, Charlottes zweiter Mutter.«
Der Schatten verbarg ihren Gesichtsausdruck, doch von Anfang an war klar gewesen, dass sie mit Leonoor Brasma wenig im Sinn hatte. »Ich habe mein … äh … Patenkind nur als Baby gekannt«, begann sie.
»Warum wurde sie nach Ihnen benannt?«
»Tja.« Charlotte nickte. »Ich war mit Elisabeth befreundet.« Sie schwieg erneut und beugte sich nach vorn, als wolle sie ihre Tasse vom Tisch nehmen, ließ sie aber stehen. »Was wissen Sie darüber, wie Elisabeth ums Le ben gekommen ist?«, fragte sie dann.
»Sie ist ertrunken.«
»Wie denn?«
Ich runzelte die Stirn. Wie? »Laut Angaben der Polizei war es ein Unfall.«
Sie sah mich unverwandt an. »Wie ist der Unfall geschehen?«
»Charlotte hat einen Job bei Albert Heijn und war nicht zu Hause. Leonoor sagt, sie und Elisabeth hätten sich gestritten, Elisabeth sei wütend ins Ruderboot gestiegen und auf den Fluss hinausgefahren. Leonoor ist ihr in einem Boot der Nachbarn gefolgt, fand aber nur das leere Ruderboot. Später am Tag entdeckte man Elisabeths Leiche. Sie konnte offenbar nicht schwimmen.«
»Behauptet Leonoor das?«
»Sie hat sie nie schwimmen sehen, so hat sie sich ausgedrückt.«
Charlotte blickte Hilfe suchend zu Sprenger, der verschlossen wie eine Auster in einer Ecke des Sofas saß. »Das Merkwürdige ist, dass ich sie im Schwimmbad kennen gelernt habe«, sagte sie zu ihm. »Wir waren uns schon öfter draußen auf der Galerie begegnet, aber im Schwimmbad haben wir uns erst richtig kennen gelernt. Sie konnte sehr gut schwimmen. Was für ein Unsinn.«
Sprenger nickte. Wir schwiegen einen Augenblick. »Sie wurde obduziert«, sagte ich. »Sie ist tatsächlich ertrunken.«
Nur Sprenger und ich tranken Kaffee. Charlotte war mit den Gedanken woanders. »Worum ging es bei dem Streit?«, fragte sie.
»Sie hatten Geldsorgen. Leonoor behauptet, Elisabeth habe sich an Charlottes Vater wenden und ihn um Hilfe bitten wollen. Leonoor habe nichts davon wissen wollen.«
Charlotte gab einen verächtlichen Laut von sich. »Es wird wohl genau andersherum gewesen sein. Elisabeth verlangte nichts von ihrem Freund. Sie wollte nur das Kind.«
»Haben Sie Otto Runing gekannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn einmal im Holiday Inn gesehen, das war alles.«
»Nicht hier in der Wohnung der beiden?«
»Natürlich nicht. Dort ist Runing nie gewesen.«
»Sind Sie sicher?« Jetzt wurde die Sache allmählich eigenartig, nicht nur wegen Leonoors Lügen und Hirngespinsten. »Im Holiday Inn haben sich doch Elisabeth und Runing im letzten Jahr ihrer Beziehung regelmäßig getroffen.«
»Stimmt«, sagte sie. »Eben deshalb.«
Es war, als versuchte ich, ein Puzzle zusammenzusetzen, in das sich Teile eines anderen Puzzles verirrt hatten. Ich wurde allmählich ärgerlich und sagte: »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Es ist eine lange Geschichte.« Charlotte suchte Unterstützung bei ihrem Freund. »Damals war ich noch eine einfache kleine Laborantin.«
»Du solltest vorsichtig sein und dir gut überlegen, was du erzählen willst«, gab Sprenger zu bedenken.
Sie zuckte mit den Schultern und griff nach ihrem Kaffee, der kalt geworden sein musste. »Das hängt davon ab, was Meneer Winter genau vorhat.«
»Ich heiße Max«, sagte ich zwischendurch.
Charlotte ignorierte es. »Ich glaube nicht, dass ich jetzt noch große Schwierigkeiten bekommen kann.«
Sprenger bedeutete ihr mit einer Geste, dass er das ihr überlasse. Er wusste etwas, das ich nicht wusste, oder er hatte eine schnellere Auffassungsgabe. »Das scheint mir der richtige Moment für einen kleinen Cognac zu sein«, schlug er aufmunternd vor. »Max?«
Ich nickte und er stand aus seinem Sessel auf. Charlotte hatte ihren Kaffee zurückgestellt, ohne davon zu trinken, und folgte mit einem so abwesenden Blick ihrem Freund, als müsse sie ein Kinderfest beaufsichtigen, während im Ofen der Truthahn verbrannte.
»Charlotte hat ihr Leben lang geglaubt, ihr Vater sei ein anonymer Spender gewesen«, sagte ich, um sie zum Weiterreden zu ermuntern. »Aus einer dieser Anzeigen,
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