Charlotte
anderen Ende aus erwartungsvoll anschaute.
Ich drückte ein paarmal auf die Klingel der Nummer 210. Niemand öffnete. Ich spazierte an Nummer 214 vorbei, der Wohnung, in der Charlotte nach ihrer Geburt gewohnt hatte. In Mietshaussiedlungen haben die Nachbarn normalerweise weniger Kontakt zueinander als in älteren Vierteln oder Straßen mit Einfamilienhäusern und es gibt immer eine hohe Fluktuation. Wenn die ältere Charlotte inzwischen ebenfalls weggezogen war, verringerten sich die Chancen erheblich, sie allein anhand ihres Vornamens aufzuspüren. Geschweige denn, dass sich irgendjemand hier nach achtzehn Jahren noch daran erinnern würde, ob eine der Damen von Nummer 214 einen Liebhaber empfing und wie dieser ausgesehen hatte.
Der Labrador lag unter dem Küchenfenster von 218.
Ich hatte schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht, aber Labradore sind meist zutraulich und für ihren sanftmütigen, verspielten Charakter bekannt. Als ich ihm über den schwarzen Kopf streichelte, drehte er sich prompt auf den Rücken, in der Hoffnung auf ein paar erotische Schmuseeinheiten.
Ein beamtenhaft aussehender Herr mit grauem Haar und freundlichen Augen öffnete die Tür und rief mahnend: »Herman!«, woraufhin der Labrador sofort aufstand, sein ausgestrecktes Bein beiseite schob und an ihm vorbei in die Wohnung hineinschlüpfte. Der Mann schaute ihm irritiert hinterher, lächelte mich entschuldigend an und sagte: »Na ja. Er ist eben ein eigensinniger Hund.«
»Meneer Catsius?«
»Herman Sprenger. Kann ich Ihnen helfen?«
Ich seufzte. Ich hatte nicht mit einem Ehepaar oder unverheirateten Paar gerechnet, schon gar nicht hetero. »Ich weiß es nicht so genau«, bekannte ich.
Sprenger lächelte. »Dann sind Sie offenbar kein Zeuge Jehovas, wie die beiden, die gestern hier geklingelt haben.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Nein. Ich bin auf der Suche nach einer Dame, die vor achtzehn Jahren in diesem Stockwerk gewohnt haben muss. Das Einzige, was ich von ihr weiß, ist, dass sie mit Vornamen Charlotte heißt. Jetzt habe ich hier auf zwei Schildern den Anfangsbuchstaben C gefunden, bei den einen war niemand zu Hause, der andere Name war C. Catsius.«
»Ich wohne hier erst seit acht Jahren. Worum geht es denn?«
Ich stellte mich vor und zeigte ihm meinen Meulendijk-Ausweis. »Es geht um ein Erbe.«
Er machte ein erstauntes Gesicht. »Für Charlotte?«
»Nein, für ein junges Mädchen, das vor achtzehn Jahren nach ihr benannt wurde.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Das würde mich auch wundern. Die Charlotte, um die es hier geht, würde es schon verstehen, aber wenn Sie hier erst seit acht Jahren wohnen, bin ich wahrscheinlich an der falschen Adresse. Wissen Sie zufällig, ob es sich bei C. Kanthuis in Nummer 210 um eine Frau handelt?«
»Keine Ahnung, aber meine Lebensgefährtin heißt Charlotte und sie wohnt hier schon seit über zwanzig Jahren. Vielleicht sind Sie also doch richtig. Allerdings ist sie noch nicht zu Hause.«
Ich wurde wieder optimistischer. »Darf ich noch einmal wiederkommen, wenn sie zu Hause ist? Am besten heute noch?«
»Charlotte arbeitet.« Er zögerte. »Ich kenne sie erst seit etwa zehn Jahren und weiß lange nicht alles aus ihrer Vergangenheit, aber die Sache interessiert mich schon. Ich hoffe, sie wird deswegen nicht böse auf mich sein, aber wir sind heute Abend zu Hause. Wäre Ihnen nach acht Uhr zu spät?«
Da konnte ich sogar noch zwischendurch nach Rumpt fahren und mit Nel zusammen ein Steak essen. »Nein, das passt gut, vielen Dank.«
Die Sonne ging hinter den Wohnblocks unter, als ich erneut die Klingel von Nummer 218 drückte. Eine Dame öffnete die Tür. Der Labrador, der schwanzwedelnd neben ihr stand, schien über meine Ankunft erfreuter als sie. »Tja, Meneer Winter, ich befürchte, dass Herman ein wenig voreilig war, als er Sie eingeladen hat.«
»Ich möchte keinen Anlass zu Unstimmigkeiten geben«, sagte ich. »Mevrouw Catsius?«
»Es gibt keine Unstimmigkeiten. Herman konnte nicht wissen, dass ich nur ungern über diese alten Geschichten rede. Ich nehme an, es geht um Elisabeth Bonnette?«
»Elisabeth ist tot, Mevrouw.«
»Oh.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ach …«
»Sie ist ertrunken.«
Einen Augenblick lang sagte sie gar nichts. Der Labrador drängte sich nach vorn und schnüffelte vorn an meiner Hose. Ich schob seinen Kopf beiseite und er fing an, meine Hand zu lecken. Charlotte Catsius bemerkte es gar nicht. Sie murmelte: »Ach Gott, das
Weitere Kostenlose Bücher