Charlotte
man sich die Köpfe heiß redete, endlose Diskussionen. Wie könnten wir das nur anstellen? Als Elisabeth schließlich schwanger war, wollte sie, dass ihr Kind später die Möglichkeit hätte zu erfahren, wer sein Vater war, falls ihr einmal etwas zustoßen sollte oder das Kind in Schwierigkeiten geriete. Es sollte zumindest einen Menschen geben, an den es sich wenden könnte. Wir dachten an Papiere und Leonoor arbeitete im Rathaus …«
»Wie bitte?«
Sie lächelte, aber es kam nicht von Herzen. »Leonoor ist eine ganz Gerissene. Sie arbeitete in der Abteilung für Führerscheinangelegenheiten, aber als Elisabeth im vierten Monat war, hat sie es eingerichtet, dass sie zum Standesamt versetzt wurde. Das scheint nicht weiter schwierig gewesen zu sein, damals zumindest nicht. Im Rathaus gab es für alles Standardformulare, die für die Angestellten frei zugänglich waren. Als Charlotte geboren wurde, füllte Leonoor die Dokumente an den Maschinen in ihrer Abteilung aus und nahm sie mit nach Hause. Als Sekretärin hatte Elisabeth ständig Briefe für Runing signiert und konnte problemlos seine Unterschrift fälschen. Im Rathaus schob Leonoor die Papiere dann einfach zwischen die übrigen im Stapel für den Abteilungsleiter. Es ist also überhaupt niemand auf dem Standesamt erschienen, um die Geburt zu melden, und schon gar nicht Otto Runing.«
»Das war aber Betrug«, bemerkte Sprenger spitz.
Ich nickte. »Genauer gesagt Personenstandsfälschung, ein Vergehen, auf das bis zu fünf Jahre Gefängnis steht.«
Charlotte zuckte mit den Achseln. »Das Risiko, dass die beiden erwischt wurden, war minimal. Die Papiere gingen automatisch den Amtsweg. Warum hätte jemand misstrauisch werden sollen? Der Chef unterzeichnet täglich den ganzen Stapel und sie verschwinden im System. Sollten sie jemals angefordert werden, wäre der entsprechende Beamte längst tot oder pensioniert, das Personal komplett erneuert, so argumentierten sie.«
»Waren Sie damit einverstanden?«, fragte ich.
Wieder schaute sie Sprenger an, der mit unbewegtem Gesicht daneben saß, und fragte: »Meinen Sie, ob ich mich mitschuldig gemacht habe? Ich wusste davon, das stimmt. Und ich habe nichts Böses daran gefunden. Wenn es damals schon Gentests gegeben hätte, wäre es vielleicht nicht nötig gewesen, aber Elisabeth wollte mit aller Gewalt irgendein Dokument haben, das das Kind zu seiner Zeit auf die Spur seines Vaters bringen konnte. Sie lebte in der naiven Vorstellung, dass der Vater seine Tochter schon anerkennen würde, wenn es so weit wäre. Wie dem auch sei, es war nur ein unschuldiger Betrug.«
»Klingt wie ein bisschen schwanger«, wandte Sprenger ein.
»Gerade weil es noch keine Gentests gab, klingt es wie ein Komplott mit dem Ziel, Runing später zu erpressen«, sagte ich. »Was meinen Sie übrigens mit einem unschuldigen Betrug?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich sah überhaupt kein Komplott darin und Elisabeth auch nicht. Die Einzige, die an so etwas dachte, war Leonoor, und genau das ist auch der Grund, warum unsere Freundschaft damals auf so unschöne Art in die Brüche ging.«
»Sie meinen, dass Leonoor Runing damals schon erpressen wollte?«
»Vielleicht nicht sofort, aber nach kurzer Zeit schon«, antwortete Charlotte. »Elisabeth hatte keine Arbeit mehr und Leonoor wollte ihre Stelle in der Stadtverwaltung ebenfalls aufgeben. Runing war reich, und sie war der Meinung, er müsse eben blechen. Es war äußerst unangenehm und höchst unanständig. Der Mann wusste von nichts und war unschuldig und ich wollte nichts damit zu tun haben. Ich habe sogar gedroht, zur Polizei zu gehen, falls sie so etwas versuchen würden. Elisabeth wollte, glaube ich, auch nichts davon wissen, aber Leonoor betrachtete mich als bösen Genius und schlechten Einfluss. Sie haben mir nicht mal ihre neue Adresse mitgeteilt, als sie einen Monat später Hals über Kopf umzogen.« Sie blickte auf, als das Telefon läutete. Sprenger ging zum Apparat, der auf einem Büfett stand.
»Sie haben es doch nie versucht, oder?«, fragte Charlotte.
»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass Runing vor ihrem Auftauchen bei ihm zu Hause noch nie etwas von einer Tochter Elisabeths gehört hatte.«
Sie nickte. »Das hat er Elisabeth zu verdanken, und Sie können sicher sein, dass sich dieser Streit, bevor sie ertrunken ist, darum drehte.«
Das hörte sich Unheil verkündend an. Sprenger nannte meinen Namen und hielt den Hörer hoch. »Für
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