Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
mir das Springen gar nicht erst antun.«
Meine Eltern warteten vor der Reithalle, zusammen mit Billes Eltern, mit denen sie unseren Ritt vom Kasino aus verfolgt hatten. Billes Eltern waren nicht sauer. Vielleicht hatte ihr Vater jetzt auch erkannt, dass Arthos für Bille einfachzu viel war. Mama machte noch ein paar Fotos von Won Da Pie und mir. Ich erzählte meinen Eltern nichts von dem zerstörten Sattel. Das konnte bis später warten. Noch immer war ich mir nicht sicher, ob ich nicht selbst die Schuld an dem Schaden trug. Und ganz sicher wollte ich niemanden zu unrecht verdächtigen. Ich brachte Won Da Pie in seine Box, sattelte und trenste ihn ab. Doro kam angerannt.
»Hey!« Sie strahlte. »Herzlichen Glückwunsch! Du hast die beste Note beim Kleinen Abzeichen bekommen!«
Wir gingen zurück in die Halle und sahen den »Großen« beim Reiten zu. Simon und Liesbeth schafften nur ganz knapp die 5,0, Jutta erhielt mit Quick erwartungsgemäß die beste Note, nämlich auch eine 8,0.
»Logisch, dass die Privatreiter besser abschneiden«, hörte ich Simon lästern. »Mit einem Schulpferd ist man klar im Nachteil.«
Als Letzte war Isa an der Reihe. Sie ritt Natimo auf Kandare und trug keine Reitkappe, sondern einen Zylinder, wie es bei höheren Dressuraufgaben üblich ist. Ihre Vorführung war fehlerfrei und großartig, und die Richter belohnten sie mit einer Wertnote von 8,5.
Um halb zwei begann im Kasino die theoretische Prüfung. Unten, in der Reithalle, bauten Alex und Gunter, der Jugendwart des Vereins, mit ein paar anderen Männern den Springparcours auf. Ich wurde nach der Ausbildungsskala des Pferdes gefragt und konnte wie aus der Pistole geschossen antworten: »Takt, Losgelassenheit, Anlehnung,Schwung, Geraderichtung, Versammlung. Das übergeordnete Ziel der Ausbildungsskala ist die Durchlässigkeit.«
Inga musste die Abzeichen am Kopf des Pferdes benennen. Sie war enttäuscht, dass sie nicht mehr gefragt wurde, immerhin kannte sie das gelbe Buch auswendig. Niemand von uns blieb den Richtern eine Antwort schuldig. Oliver wusste, was Kastanien sind, Karsten zählte alle Giftpflanzen auf, die für ein Pferd gefährlich sein konnten, und Isa erklärte problemlos, was der Begriff »Natürliche Schiefe« bedeutet. Zum Schluss bekam jeder eine 7,5 und hatte den theoretischen Teil der Prüfung locker bestanden.
Beim Springen war ich als Siebte von den nur noch neun Prüflingen für das Abzeichen Klasse IV an der Reihe. Der Parcours war derselbe, den wir seit Wochen geübt hatten, abgehen mussten wir ihn nicht mehr. Auf dem Platz hatte Alex einen kleinen Steilsprung und einen Oxer zum Abreiten aufgebaut. Gerade als ich Won Da Pie zum Reitplatz führte, kamen meine Eltern, begleitet von meinen drei Geschwistern, die Auffahrt hoch. Sie waren zwischendurch zum Mittagessen nach Hause gegangen. Inga sollte mit Corsario erst nach mir reiten, aber sie galoppierte schon auf dem Platz. Ihre und auch Doros Eltern waren da und schauten zu. Doro stand neben den beiden Probesprüngen und baute für Inga zuerst ein kleines Kreuz aus den Stangen des Steilsprungs. Ich setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang mich in den Sattel. Inga bolzte Corsario beide Schenkel in den Bauch und zog dem Schimmel ein paarmal die Gerte über die Flanke.
»Das Mistvieh geht überhaupt nicht vorwärts!«, beschwertesie sich. Sie war knallrot im Gesicht und zerrte an den Zügeln.
»Lass ihn doch einfach galoppieren«, riet Doro ihr. »Reite ihn ein paar Runden im leichten Sitz um den Platz.«
»Ich weiß schon, was ich tue!«, schnauzte Inga aufgebracht. Ich ritt im Schritt zur anderen Seite des großen Reitplatzes.
Inga war nur drei Mal die Springstunde mitgeritten, und Herr Kessler hatte ihr erst nicht gestatten wollen, das Abzeichen zu machen, aber sie hatte den Reitlehrer so lange genervt, bis er nachgegeben hatte.
Endlich gelang es ihr, Corsario über den kleinen Kreuzsprung zu reiten. Beim zweiten Mal sprang er zu früh los, Inga geriet hinter die Bewegung und krachte dem Schimmel nach dem Hindernis unsanft in den Rücken. Daraufhin legte Corsario, der schon klatschnass geschwitzt war, an Tempo zu. Beim nächsten Mal kam er zu nah an das kleine Hindernis und schraubte sich wie ein Hubschrauber in die Luft, um nicht die Stange zu berühren. Doro warf mir einen verzweifelten Blick zu. Mit zusammengebissenen Zähnen jagte Inga um den Platz und in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf den Oxer zu. Corsario stoppte im letzten Moment,
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