Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
hatte und den Stall betrat, um zu meinen Eltern hoch ins Kasino zu gehen, herrschte helle Aufregung. Isa saß auf einem Strohballen vor der Box von Heide und war in Tränen aufgelöst. Gaby und Merle standen mit ratlosen Mienen daneben.
»Was ist denn passiert?«, erkundigte ich mich.
»Isa kann mit Heide nicht springen«, sagte Merle. »Sie hat sich verletzt.«
»Wer? Isa?« Ich riss die Augen auf.
»Quatsch.« Gaby wies auf die braune Stute in der Box. »Heide hat ein dickes Bein. Als Isa sie eben rausholen wollte, hat sie es gesehen. Das rechte Hinterbein ist total dick und heiß.«
»Ich kann sie unmöglich reiten«, schluchzte Isa. »Und Natimo ist in seinem ganzen Leben nicht höher als fünfzig Zentimeter gesprungen.«
Es tat mir wirklich leid, Isa so am Boden zerstört zu sehen. Beinahe schämte ich mich, weil ich so glücklich war nach meinem guten Ritt.
»Es wäre doch zu schade, wenn du nach deiner tollen Dressur jetzt nicht weitermachst«, sagte Merle zu ihrer Freundin.
»Ich muss einen L-Parcours springen.« Isa wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Das schafft keins von den Schulpferden.«
»So was Blödes!«, sagte Gaby. »Ausgerechnet heute muss das passieren!«
Da kam mir eine Idee. Mein Pferd hatte nach dem Springen kein einziges nasses Haar gehabt und gebuckelt hatte er auch noch. Es würde ihm sicherlich nichts ausmachen, noch einmal geritten zu werden. Manche Schulpferde mussten heute zwei Mal Dressur und zwei Mal Springen gehen!
»Ich muss Herrn Kessler sagen, dass ich nicht reiten kann«, sagte Isa düster und stand von dem Strohballen auf.
»Isa, du könntest doch Won Da Pie reiten«, schlug ich vor.
»Was?« Sie starrte mich aus geröteten Augen an.
»Er kann das ganz sicher«, redete ich weiter. »Ich meine, ich bin bei Alex in der Springstunde mit ihm schon viel höher gesprungen.«
»Würdest du mir wirklich dein Pferd leihen?«, fragte Isa ungläubig. »Das wäre natürlich … oh Mann, das wäre super!« Sie konnte wieder lächeln. Wir liefen los, um Herrn Kessler zu suchen. Der Reitlehrer befand sich in der Halle. Gerade war Simon an der Reihe mit Parcoursspringen. Und diesmal zeigte Liesbeth, dass an ihr ein Springpferd verloren gegangen war. Für seinen fehlerfreien Ritt bekam Simon eine 7,2. Herr Kessler kam mit uns in den Stall und begutachtete Heides Bein.
»Du musst deine Eltern fragen, ob sie einverstanden sind, dass Isa euer Pferd reitet«, sagte Herr Kessler zu mir.
»Mach ich«, erwiderte ich aufgeregt und sauste davon. Papa kam auch sofort mit in den Stall, nachdem ich ihm geschildert hatte, was mit Isas Pferd geschehen war.
»Meinen Sie, dass das funktioniert? Das Mädchen hat Won Da Pie doch vorher noch nie geritten«, fragte mein Vater den Reitlehrer zweifelnd.
»Isabell ist die beste Reiterin im Stall«, entgegnete Herr Kessler. »Und Won Da Pie ist ehrlich gesagt das einzige Pferd, dem ich einen L-Parcours zutraue.«
»Wenn Charlotte es angeboten hat, bin ich auch einverstanden«, sagte mein Vater. »Immerhin ist Won Da Pie ihr Pferd.«
Ich grinste Isa an, und die fiel mir um den Hals. Gemeinsam liefen wir hinaus zu meinem Pferd.
»Ach ja«, fiel mir ein. »Du brauchst einen anderen Bügelriemen. Der von Alex’ Sattel ist mir vorhin im Parcours gerissen.«
Es war ein seltsames Gefühl, jemand anderes auf meinem Pferd sitzen zu sehen. Ganz kurz hatte ich Bedenken gehabt, Won Da Pie könnte Isa genauso abwerfen, wie er es mit Thierry vor ein paar Monaten getan hatte. Aber meine Sorge war unbegründet. Isa ritt Won Da Pie auf dem Reitplatz ab und es klappte sehr gut. Ich folgte ihr in die Halle, in der man den Parcours in der Zwischenzeit umgebaut hatte.
»Toi, toi, toi«, sagte ich zu Isa und ging auf die Tribüne. Doro schlüpfte durch die Tür und quetschte sich atemlos neben mich.
»Ich hab gerade erst gehört, was passiert ist«, sagte sie. »Find ich voll klasse von dir, dass du ihr Won Da Pie leihst.«
Auch alle anderen reckten den Hals und tuschelten, als Isa mit meinem Pferd durch die Bahn trabte und vor den Richtern zum Grüßen durchparierte.
»Das ist doch Charlottes Pferd, oder?«
»Ja, das ist Won Da Pie. Aber wieso reitet Isa ihn?«
Ich spürte, wie mein Herz klopfte. Meine Handflächen waren vor Aufregung schweißnass. Ich war viel nervöser als eben vor meinem eigenen Ritt.
Es wurde mucksmäuschenstill, als Isa angaloppierte. Die Sprünge waren nun bis zu einem Meter zwanzig hoch, das waren schon ganz ordentliche
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