Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
dachte ich. Ich hab die Hosen ganz schön voll gehabt!
»Klasse, Lotte!«, rief mein Vater aus sicherer Entfernung. Nach wie vor waren ihm Pferde nicht geheuer. Ich ritt noch eine Weile Schritt in der Halle, während die fleißigen Helfer die Hindernisse abbauten und hinaustrugen. Die Zuschauer strömten lachend und redend durch den Stall hoch ins Kasino. Frau Schlichte und Frau Seifert verteilten an alle Kinder und Jugendlichen Weihnachtstüten. Als ich absaß und die Steigbügel hochschob, kam Herr Stark zu mir.
»Sag mal, Charlotte, bist du überhaupt schon einmal so hoch gesprungen?«, wollte er wissen.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und grinste. »Aber auf einmal habe ich gemerkt, dass Won Da Pie springt, egal, wie hoch die Hindernisse sein würden.«
»Das habt ihr zwei sehr gut gemacht.« Er lachte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich das trauen würdest.«
»Ich auch nicht«, gab ich zu. Mein Selbstbewusstsein war schlagartig gestiegen. »Dabei hatte ich früher immer echt Angst vor dem Springen.«
»Aber jetzt hast du ein richtig gutes Pferd.« Herr Stark klopfte Won Da Pie den Hals. »Nächstes Jahr solltet ihr beide wirklich Turniere reiten.«
Ich hatte noch keine Lust, hoch ins Kasino zu gehen. Nachdem ich Won Da Pie abgesattelt und ihm seine Stalldecke übergezogen hatte, öffnete ich die Zöpfchen in seiner Mähne. Er kaute gelassen seinen Hafer.
»Danke, mein Süßer«, sagte ich leise zu ihm. »Du bist das tollste, beste, großartigste Pferd der Welt. Ich bin so glücklich, dass ich dich habe. Mit dir habe ich vor nichts mehr Angst.«
Won Da Pie hob seine Nase aus dem Trog und blickte mich aus klaren dunklen Augen an, als ob er jedes Wort verstünde. Vor lauter Glück stiegen mir die Tränen in die Augen. Was war das für ein verrücktes, aufregendes Jahr gewesen! Noch vor einem halben Jahr war ich eine ängstliche Schulreiterin gewesen, hatte mich vor Hanko, Farina, Flocki, vor dem Springen und den Ausritten gefürchtet. Am Boden zerstört hatte ich erleben müssen, wie mein geliebtes Pflegepferd Gento verkauft worden war. Damals hatte ich geglaubt, ich müsste sterben, so schrecklich war mein Kummer gewesen. Aber dann war Won Da Pie in meinem Leben aufgetaucht. So viel war seitdem geschehen, Schönes und Schlimmes. Ich hatte neue Freunde in Frankreich gefunden, eine böse Enttäuschung erlebt und eine Freundinverloren, die nie eine gewesen war. Ich war in den Jugendvorstand gewählt worden und gemeinsam mit den anderen Jugendlichen und den Erwachsenen hatten wir heute eine tolle Weihnachtsfeier auf die Beine gestellt.
»Hey, Lotte!«
Ich fuhr herum, als ich Doros Stimme hörte. Verstohlen wischte ich mir eine Träne aus dem Gesicht.
»Wir warten alle auf dich«, sagte meine Freundin. »Wir wollen doch Herrn Kessler das Abschiedsalbum überreichen.«
Daran hatte ich vor lauter Aufregung und Glück überhaupt nicht mehr gedacht! Ich umarmte Won Da Pie zum Abschied noch einmal, dann ging ich hinaus und schloss auch die obere Türhälfte. Wir blickten uns an.
»Du warst echt cool«, sagte meine Freundin.
»Na, du aber auch«, erwiderte ich. »Mit einem Pferd, das du gar nicht kennst, bist du die Springquadrille geritten. Das hätte ich mich wohl nicht getraut.«
»Der springt ja auch super.« Doro lächelte, dann verdunkelte sich ihr Gesicht. »Ich hab auf ihm ein viel besseres Gefühl als auf Corsario. Irgendwie hab ich geahnt, dass ich ihn nicht mehr lange besitzen würde.«
»Ist schon Wahnsinn, was alles passiert ist, oder?«, sagte ich. »Ich bin total glücklich.«
Dann bekam ich sofort ein schlechtes Gewissen. Wie konnte ich glücklich sein, wenn meine beste Freundin gerade erst ihr Pferd verloren hatte? Gestern war es ihr gelungen, tapfer die Haltung zu bewahren. Erst im Auto war sie in Tränen ausgebrochen. Sie war nicht mehr in den Stallgekommen, sondern gleich mit ihrem Vater nach Hause gegangen.
»Für Corsario war es besser so.« Doro lächelte ein bisschen. »Du musst dir deswegen keine Gedanken machen. Hm. Was wohl Inga jetzt macht?«
»Keine Ahnung.« Ich zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich denkt sie sich neue Lügengeschichten aus. Ich bin froh, dass ich sie nicht mehr sehen muss.«
»Mann!« Karsten tauchte vor uns auf. »Kommt ihr bald mal, ihr blöden Hühner? Ihr könnt euch auch oben anstarren und angrinsen.«
»Halt die Klappe, du Affe«, sagte Doro freundlich.
Karsten nahm ihr den Affen so wenig übel wie wir ihm die blöden Hühner. Wir waren
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