Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
entlanggaloppieren mit dem Wind in den Haaren. Und dann begegnet sie ihrem Traumpferd. Nur leider ist Won Da Pie völlig verängstigt. Ob Charlotte sein Vertrauen gewinnen kann, um mit ihm das wohl gefährlichste Abenteuer ihres Lebens zu bestehen?
Heute war der letzte Schultag vor den großen Ferien. Früher einmal hatte ich diesen Tag herbeigesehnt, bedeutete es doch, dass wir für vier herrliche, lange Wochen nach Frankreich an die Atlantikküste auf die Insel Noirmoutier fahren würden. Aber in diesem Jahr war alles anders. Ich freute mich kein bisschen auf die Ferien, und mir graute geradezu davor, vier Wochen lang nicht in den Reitstall gehen zu können.
Als wir vor drei Jahren von Paderborn nach Bad Soden gezogen waren, war ich von uns Kindern als Einzige glücklich darüber gewesen, denn unser neues Haus lag keine fünfzig Meter vom Reitstall entfernt. Mein Traum war in Erfüllung gegangen, als ich mit dem Reiten anfangen durfte, und seitdem verbrachte ich jede freie Minute im Stall. Die Reitanlage lag am Rand des Eichwalds und war ziemlich klein und altmodisch. Es gab gerade mal vierzig Boxen und nur eine Reithalle, die sich die Privatreiter mit dem Schulbetrieb teilen mussten, was im Winter manchmal etwas eng wurde. Die wöchentliche Reitstunde bildete zweifellos den Höhepunkt, aber auch so war es jeden Tag aufregend und lustig, denn es war immer etwas los. Es störte weder mich noch meine Freunde, dass wir als Schulreiter von den Besitzern derPrivatpferde kaum wahrgenommen wurden. Wir alle liebten es, im Stall zu sein, und ich hatte seit ein paar Monaten einen neuen, ausgesprochen wichtigen Grund, noch mehr Zeit im Reitstall zu verbringen. Dieser Grund hieß Gento. Gento war ein neunjähriger brauner Wallach, der Herrn Lauterbach, einem Springreiter aus unserem Reitverein, gehörte. Er stand in einer der Außenboxen und war für mich das tollste Pferd der Welt. Herr Lauterbach kümmerte sich leider ziemlich wenig um sein Pferd, denn angeblich ließ ihm die Arbeit in seiner Firma nur wenig Zeit. Die anderen Privatpferde wurden von ihren Besitzern gehätschelt und auf Hochglanz gestriegelt, nicht so Gento, der von Herrn Lauterbach nur zum Reiten aus der Box geholt wurde. Ich bedauerte das Pferd insgeheim, wenn es mal wieder mit schweißverklebtem Fell und schmutzigen Hufen dastand, und fand, es wirkte immer ein bisschen traurig. Vielleicht sehnte es sich ja auch nach jemandem, der es regelmäßig putzte und verwöhnte. Dieser Jemand wäre ich gerne gewesen.
Die neun Schulpferde des Vereins wurden morgens von den Pflegern geputzt, außerdem hatte jedes von ihnen einen wahren Fanclub. Ich mochte Liesbeth, eine kupferfarbene Fuchsstute mit einer breiten Blesse, einem hellen Schweif und heller Mähne und durfte sie immerhin jeden Donnerstag putzen. Die älteren Jugendlichen wachten mit Argusaugen über »ihre« Pferde, und nicht selten kam es vor, dass sie mich vergaßen und ich gar keine Gelegenheit bekam, Liesbeth zu putzen.
Wochenlang hatte ich gegrübelt, wie ich es anstellenkonnte, Gento als Pflegepferd zu bekommen. Es war schon eine atemberaubende Ungeheuerlichkeit für eine dreizehnjährige Schulreiterin, die ungeschriebene Stallhierarchie zu umgehen und den Besitzer eines Privatpferdes anzusprechen, und ich war mir beinahe sicher gewesen, dass ich eine Abfuhr bekommen würde. Doch irgendwann hatte ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und Herrn Lauterbach gefragt, ob ich Gento pflegen dürfte. Der Mann hatte mich amüsiert gemustert.
»Ich bin jeden Nachmittag hier im Stall«, hatte ich als Argument vorgebracht. »Ich wohne gleich um die Ecke. Und da dachte ich, ich könnte Gento jeden Tag putzen und vielleicht auch mal grasen lassen, weil Sie doch so wenig Zeit für ihn haben.«
Ich hatte ihm nicht gesagt, dass ich Gento schon seit Monaten mit Möhren und Äpfeln verwöhnte und er sogar schon wieherte, wenn er mich kommen sah.
»Tja, warum eigentlich nicht?«, hatte Herr Lauterbach schließlich geantwortet. »Ich hab ja wirklich zu wenig Zeit. Aber dass du mir keine Dummheiten mit ihm machst, er ist ziemlich wertvoll!«
Mir war vor Glück ganz schwindelig geworden.
»Nein, natürlich nicht«, hatte ich noch gehaucht. Insgeheim hatte ich befürchtet, Herr Lauterbach würde mich auslachen, denn ich wusste, dass sogar Stefan und Dani, die Wortführer unter den Jugendlichen, ihn schon wegen Gento gefragt hatten. Damals hatte er abgelehnt. Und es war noch besser gekommen, denn Herr Lauterbach
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