Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
Telefon. Sie hatte in ihrem Garten gesessen, ich in unserem, zwischen uns war nur der Zaun. Und da hatte ich ihr alles erzählt, was ich erlebt hatte. Die Sache mit Thierry hatte ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Meine Freundin war begeistert, wollte ein Foto von ihm sehen, was ich natürlich nicht besaß.
»Klare Sache, du brauchst endlich einen eigenen Laptop und einen Facebook-Account«, hatte Doro entschieden gesagt. »Wie soll er dich sonst erreichen?«
Das war leichter gesagt als getan. Phil, mein großer Bruder, war fünfzehn und hatte erst letztes Jahr zu Weihnachten einen Laptop bekommen, weil er ihn für die Schule brauchte. Ich durfte hin und wieder an Mamas Rechner, hatte einen eigenen Zugang und auch eine E-Mail-Adresse, aber meine Eltern würden mir nie erlauben, mich bei Facebook anzumelden.
In der Nacht hatte ich wirres Zeug geträumt, von Nicolas und Won Da Pie und von Thierry. Ob er mir wirklich antworten würde, wenn ich ihm eine E-Mail schrieb?
Beim Frühstück beschloss ich, Thierry erst dann zu mailen, wenn Won Da Pie bei mir angekommen war. Ich war fast ein bisschen froh, als ich mich um halb neun auf den Weg zum Reitstall machen konnte, um auf andere Gedanken zu kommen. Früher war ich vor einer Reitstunde fast immer mit einem flauen Gefühl im Magen in den Stall gegangen, aber heute war es anders. Ich freute mich über die Sonne, die vom wolkenlos blauen Himmel strahlte, und über den würzigen Geruch, den der nahe Wald ausströmte. Auf Noirmoutier gab es keinen Wald, nur sonnenverbrannte Salzwiesen und das endlose Meer. Ob Won Da Pie schon einmal in seinem Leben einen Wald gesehen hatte? In drei Tagen würde er endlich da sein! Noch drei endlose, lange Tage!
Ich betrat den Stall und begegnete in der Stallgasse Inga.
»Hi, Lotte«, sagte sie von oben herab. »Ich hab gesehen, dass du jetzt die Stunde mitreitest.«
»Ja, das hatte ich vor«, entgegnete ich. »Du auch?«
»Klar. Mit einem eigenen Pferd kann ich ja jede Reitstunde mitreiten.«
»Toll.«
»Ja, allerdings. Das ist schon was anderes, als bloß einmal in der Woche auf einem Schulpferd herumzureiten.« Inga lachte geringschätzig, und ich konnte kaum glauben, dass ich sie einmal als eine gute Freundin betrachtet hatte. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen, mich meinen Freunden gegenüber so überheblich zu benehmen.
»Kannst du denn überhaupt mit dem Gipsarm reiten?«, fragte ich.
»Klar«, behauptete Inga. »Corsario ist butterweich im Maul. Er ist nicht so vergurkt wie die Schulpferde.«
»Und neue Stiefel hast du auch«, stellte ich fest.
»Lederstiefel. Nagelneu«, bestätigte Inga. »Die haben fünfhundert Euro gekostet. Und die Reithose ist auch neu. Mit Volllederbesatz. Mit der klebt man geradezu am Sattel.«
Sie streckte ein Bein vor. An den Stiefeln blitzten scharfe Sporen. Ich trug meine alte schwarze Reithose mit dem geflickten Knie und die Gummireitstiefel, die mir ein bisschen zu klein waren.
»Echt klasse.« Ich tat beeindruckt. »Mit solchen Stiefeln und der Hose reitest du sicher zehn Klassen besser als früher.«
»Wie meinst du das?« Inga sah mich argwöhnisch an. Ihr Reitkönnen war nach wie vor ein wunder Punkt.
»Och, nur so«, sagte ich harmlos und ging weiter.
Herr Kessler saß am Schreibtisch in der Sattelkammer und war erstaunt, als ich ihn darum bat, Hanko reiten zu dürfen. Er wusste genau, dass ich mich vor dem großen Braunen immer gefürchtet hatte.
»Wie du willst«, sagte er und schrieb den Namen des Pferdes hinter meinen Namen auf den Block. Dann vergewisserte er sich mit einem Blick, dass niemand in der Nähe war.
»Dein Pferd kann übrigens die Außenbox von Gento haben, wenn du das möchtest. Sie ist noch frei.«
»Oh ja, das wäre cool«, freute ich mich. Insgeheim hatte ich darauf gehofft, denn dann konnte ich zu jeder Tageszeitzu meinem Pferd gehen, ob der Stall geöffnet war oder nicht.
»Und hier.« Kessler kramte in der Schreibtischschublade. »Das ist der Schlüssel für deinen Spind. Du kannst den von Herrn Lauterbach nehmen. Einen Sattel- und einen Trensenhalter mache ich dir dann noch frei.«
Plötzlich fiel mir mit Schrecken ein, dass ich weder einen Sattel noch eine Trense für mein Pferd besaß. Beides kostete ziemlich viel, und ich war mir nicht sicher, ob meine Eltern das Geld auch noch ausgeben würden. Ich sagte es dem Reitlehrer.
»Wir finden schon eine Lösung«, beruhigte er mich. »Zuerst kannst du ja mal einen der Schulsättel
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