Charlottes Traumpferd
Strand und folgten Thierry in die Dünen. Wenig später waren wir auf der schmalen StraÃe, die in die Salzsümpfe führte. Cécile und Sophie neckten Thierry und lachten über sein Missgeschick.Ich war noch ganz benommen von diesem schönsten Galopp meines Lebens. Der Gedanke, dass ich bald wieder nur im Schaukelgalopp auf den Schulpferden in der Reithalle herumreiten musste, war furchtbar.
Le Zaza ging am langen Zügel, und ich legte den Kopf in den Nacken, um in den endlosen kobaltblauen Himmel zu schauen. Im Osten erkannte ich schwach die Sichel des abnehmenden Mondes. Die warme Luft duftete nach Pinien, nach den trockenen Disteln am StraÃenrand und nach PferdeschweiÃ. Der Hufschlag der Pferde klang dumpf auf dem ausgetrockneten Boden der schmalen Wege, und mit einem Mal überkam mich der sehnsüchtige Wunsch, dieser Urlaub auf Noirmoutier würde niemals zu Ende gehen! Ich war bei dem Wettrennen am Strand schneller geritten als Thierry, ich, die ängstliche Schulreiterin, die sich vor Hanko und Farina fürchtete. Ich hatte Le Zaza vertraut, war aus vollem Galopp mit ihm gesprungen und nicht runtergefallen.
Die Grillen zirpten im trockenen Gras, Myriaden von Mücken tanzten über unseren Köpfen. Thierry fluchte.
»Was hast du denn?«, rief Sophie.
»Mein Handy ist nass geworden!«, erwiderte der Junge zornig.
»Du sollst sowieso nicht so viel telefonieren«, entgegnete seine Schwester.
»Du kannst mich mal!«, fuhr Thierry sie an und trabte ein Stück, um Abstand zu uns zu haben.
»Er ist nur sauer, weil du schneller warst als er«, sagte Sophie zu mir und kicherte. »Und dann ist er noch vom Pferd gefallen. Was für eine Schmach!«
»Er tut mir leid«, sagte ich mitfühlend. »Sicher ist ihm kalt in den nassen Klamotten.«
»Ach was! Wir würden ihm garantiert auch nicht leidtun, wenn eine von uns runtergeflogen wäre«, versicherte mir Sophie. »Mach dir um ihn keine Sorgen, er ist ja nicht aus Zucker.«
»Ich findâs klasse, dass du gewonnen hast«, sagte Cécile rechts von mir. »Thierry hätte eigentlich wissen müssen, wie schnell Le Zaza ist. Er hat ihn doch schon oft genug bei Rennen gesehen.«
»Wahrscheinlich hat er nicht geglaubt, dass Charlotte sich trauen würde, so schnell zu reiten«, vermutete Sophie.
Cécile nickte und zwinkerte mir zu.
»Genau«, sagte sie, »und das ärgert ihn schwarz.«
Wir ritten abwechselnd im Schritt und im Trab zurück zum Club und versorgten dort unsere Pferde. Ich verabschiedete mich von Won Da Pie, der zufrieden in seiner Box stand, und sagte Rémy Bescheid, dass ich am nächsten Tag leider nicht kommen konnte. Papa und Mama hatten sich mit französischen Freunden verabredet, die ihren Urlaub in der Nähe von Carnac in der Bretagne verbrachten, und ich musste wohl oder übel mitfahren.
Glücklich radelte ich durch die Abenddämmerung nach Hause und malte mir in Gedanken aus, wie es wohl wäre, auf Won Da Pie zu reiten und mit ihm zu springen. Vor meinem inneren Auge sah ich mich im weiten Rund des Wiesbadener Schlossparks auf dem Pfingstturnier und hörte die Stimme des Ansagers. »Am Start ist die Nummer dreihundertvierzehn,threehundredfourteen, troiscentquatorze, Charlotte Steinberg mit Won Da Pie, Deutschland!«
Der Applaus der Zuschauer brandete auf, dann herrschte gespanntes Schweigen. Won Da Pie tänzelte und schlug mit dem Schweif. Seine Ohren waren aufmerksam gespitzt, er kaute am Gebiss. Ich lieà ihn angaloppieren. Da war schon der erste Sprung, ein rot-weiÃer Oxer! Ein leichter Schenkeldruck, schon waren wir drüber. Ein weiÃes Gatter, ein gelber Oxer und die Mauer. Leicht wie eine Feder schnellte mein Pferd über die höchsten Hindernisse, ich lachte übermütig. Ich hatte überhaupt keine Angst, alles war einfach wunderbar!
Da riss mich ein wildes Hupen jäh aus meinen Träumen. Erschrocken riss ich den Lenker nach rechts, als hinter mir ein schwarzer Renault angebraust kam. Vier junge Typen saÃen in dem Auto, Musik dröhnte und die Bässe wummerten aus den heruntergelassenen Fenstern. Der Fahrer fuhr haarscharf an mir vorbei, und ich verlor das Gleichgewicht. Ich erhaschte noch einen Blick auf Thierry, der mit einem überheblichen Grinsen auf dem Beifahrersitz hockte, dann stürzte ich Kopfüber in den StraÃengraben. Das Auto verschwand hupend. Ich
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