Charlottes Traumpferd
ich Luft zu holen, so atemberaubend war die Geschwindigkeit, mit der die Pferde den Strand entlangdonnerten. Was war schon der Galopp in der Reithalle, verglichen mit dem Tempo, das ein trainiertes Galopprennpferd vorlegen konnte? Dunkel erinnerte ich mich daran, dass Nicolas erwähnt hatte, Le Zaza hätte noch vor einem Monat ein Rennen gewonnen. Ich spürte, wie sich der Wallach unter mir streckte. Seine Beine arbeiteten wie die Kolben einer Maschine. Galopp, Galopp, Galopp!
Sophie und Cécile waren weit zurückgefallen, Le Zaza hatte Linotte eingeholt und schoss an der Stute vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich Thierrys verbissenes Gesicht. Er war sich ganz sicher gewesen, auf dem schnellsten Pferd zu sitzen, sonst hätte er kein Wettrennen vorgeschlagen. Verlieren wollte er nämlich auf keinen Fall! Wütend gab er Linotte die Sporen und lieà das Ende der Zügel links und rechts auf den Hals der Stute klatschen. Ich saà ganz ruhig und bemühte mich, Le Zaza nicht zu stören. Er forderte etwas mehr Zügel, und als ich ihm nun den Kopf freigab, legte er noch einmal gewaltig zu und lieà Linotte weit hinter sich zurück. Wie mühelos war sein Galopp! Ich hatte das Gefühl zu fliegen und hätte vor Glück lachen können. Viel zu schnell hatte ich die Landzunge erreicht und zügelte den Fuchswallach, der gehorsam das Tempo verringerte. Ãberglücklich klopfte ich seinen Hals. Da kam Thierry in vollem Galopp an.
»Los, weiter!«, schrie er mir zu. »Mal sehen, wer gewinnt!«
Direkt hinter der Landzunge erstreckte sich der Strand von LâÃpine, aber im Gegensatz zum Strand von Luzéronde gab es hier Hindernisse. Niedrige Holzwände sollten die Abschwemmung des Sandstrandes durch die Strömung verhindern. Weiter oben am Strand waren diese Wände kaum kniehoch, unten jedoch maÃen sie mehr als einen Meter.
Ich lieà Le Zaza wieder galoppieren und folgte dem wie besinnungslos dahinstürmenden Thierry. Das erste Hindernis kam. Ich schickte ein StoÃgebet zum Himmel, hielt mich an der Mähne meines Pferdes fest und schon waren wir darüber hinweg. Thierry ritt weiter unten am Strand, wo der Sand fester war. Le Zaza sprang brav über die zweite Hürde. Wir waren gleichauf mit Linotte. Aus den Augenwinkeln sah ich Thierry die dritte Holzwand anreiten. Aber diesmal war es seiner Stute zu hoch und die dunkle Pfütze mit brackigem Meerwasser schien ihr nicht geheuer zu sein. Linotte bremste aus vollem Tempo und schlug einen Haken. Thierry, der sich schon zum Absprung bereit nach vorne gebeugt hatte, flog in hohem Bogen aus dem Sattel und landete in der Pfütze auf der anderen Seite der hölzernen Wand. Ich sah das Wasser hoch aufspritzen und parierte Le Zaza erschrocken durch.
Ein paar Strandspaziergänger waren stehen geblieben und guckten. Hoffentlich war Thierry nichts passiert! Sophie und Cécile kamen angaloppiert, und Cécile bekam den Zügel von Linotte zu fassen, die geradewegs auf sie zugaloppiert war. Thierry kroch aus der Pfütze, richtete sich auf und schwang sich über die Holzbarriere. Ich war insgeheim erleichtert, dass ihm nichts zugestoÃen war, undmusste bei seinem Anblick mühsam ein Grinsen unterdrücken.
Er marschierte zu seinem Pferd hinüber. »So ein blödes Mistvieh!«, schrie er wütend. Dann lieà er noch ein paar saftige französische Flüche folgen, die ich mir gut merkte. Eine fremde Sprache kann man erst dann richtig gut, wenn man auch die Umgangssprache beherrscht. Das hatte unsere Französischlehrerin gesagt.
»Hochmut kommt vor dem Fall, lieber Bruder!«, rief Sophie und lachte. »Charlotte war schneller als du und hat gewonnen!«
»Warum musstest du auch so weit unten am Strand reiten, wo die Holzwände so hoch sind?«, wollte Cécile wissen.
»Ach, lasst mich doch in Ruhe!« Thierry riss ihr die Zügel von Linotte aus der Hand. Er war bis auf die Haut durchnässt und über und über mit stinkigen Algen bedeckt. Beinahe tat er mir leid. Ohne mich anzusehen, schwang er sich wieder in den Sattel.
»Was hast du denn da auf dem Kopf? Du siehst ja aus wie Neptun persönlich!« Sophie lenkte ihr Pferd neben das ihres Bruders und pflückte ihm eine Alge aus den Haaren. Thierry wehrte sie unwillig ab. Cécile und Sophie kicherten.
»Blöde Weiber«, murmelte er verärgert.
Im Schritt ritten wir hoch an den
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