Charlottes Traumpferd
rappelte mich wütend auf und pflückte das Fahrrad aus den trockenen Disteln.
»Blöde Idioten!«, schimpfte ich und rieb mein Knie, das ordentlich wehtat, aber dann musste ich grinsen. Charlotte Steinberg stürzt am Wassergraben im GroÃen Preis von Wiesbaden. Das hatte ich nun von meinen hochgestochenen Tagträumen.
Zwei endlos lange Tage verbrachten wir bei den Freunden meiner Eltern in der Bretagne. Zwei Tage, in denen ich nicht in den Club fahren konnte! Was für eine verschwendete Zeit! Ich brannte darauf, Won Da Pie wiederzusehen. Während ich den schmalen sandigen Pfad durch die Kartoffeläcker entlangradelte, überlegte ich, ob Thierry wohl immer noch beleidigt war. Eigentlich hätte es mir egal sein können, aber irgendwie wollte ich nicht, dass er sauer auf mich war. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich in den letzten beiden Tagen mindestens so oft an ihn gedacht wie an Won Da Pie und das ärgerte und verwirrte mich.
Ich bog in den Hof ein und stellte fest, dass Thierrys Moped nicht vor dem Büro stand, also war er wohl am Strand. Nicolas war gerade damit beschäftigt, Hirondelle zu longieren, als ich mein Fahrrad gegen den Zaun des Paddocks lehnte.
»Salut, Charlotte!«, rief er. »Wie war es in der Bretagne?«
»Todlangweilig. Es gab von morgens bis abends nur Essen!«
Nicolas lachte. »Wie war eigentlich neulich dein Ritt mit Le Zaza?«
Hatten Sophie und Cécile nicht erzählt, was passiert war? Wahrscheinlich nicht. Und ich würde es auch nicht tun.
»Herrlich!«, erwiderte ich also. »Er ist einfach toll. So schnell bin ich noch nie zuvor galoppiert!«
»Ja, Le Zaza ist ein hervorragendes Rennpferd.« Nicolas schnalzte mit der Zunge und Hirondelle fiel in Galopp.
Ich sah ihm eine Weile zu. In Frankreich wurde alles ganz anders gemacht als zu Hause bei uns in Deutschland. Beim Reiten legten sie hier nicht so viel Wert darauf, dass ein Pferd am Zügel ging. AuÃer einem Martingal hatte ich keine Hilfszügel in der Sattelkammer entdecken können, weder Ausbinder noch Schlaufzügel.
Ich ging hinüber zu den Ställen, begrüÃte Won Da Pie mit einem Apfel und rief Cécile und Rémy »Salut!« zu. Nachdem ich den Putzkasten geholt hatte, band ich Won Da Pie drauÃen an und putzte ihn gründlich. Die Sonne lachte, es duftete nach Pferden, Heu und dem Lavendel, der in groÃen Büschen auf dem Feld hinter den Stallungen wuchs. Schöner konnten Ferien überhaupt nicht sein!
Nicolas kam mit Hirondelle am Zügel aus dem Paddock und blieb neben mir stehen.
»Gestern war endlich der Hufschmied da und hat ihm neue Eisen verpasst«, sagte er.
»War er denn brav?«, fragte ich besorgt.
»Wie ein Lamm!« Nicolas grinste. »Du hast ihn offenbar vollkommen davon überzeugt, dass wir Menschen doch ungefährlich sind.«
Ich lächelte geschmeichelt und streichelte das weiche Fell des Pferdes.
»Wenn du fertig bist, könntest du ihn satteln«, meinte Nicolas im Weggehen. »Nimm am besten den Sattel und die Trense von Brunette. Das müsste beides passen.«
»Jetzt ist es vorbei mit dem faulen Leben, mein Lieber«, sagte ich zu Won Da Pie, und plötzlich wurde ich ganz traurig.
Jetzt, wo er brav war, würde auch er bald dicke Touristen über die Insel schleppen müssen, während ich wieder in der Schule saÃ. Ich seufzte und kämpfte bei der Vorstellung gegen die Tränen. So ein Pech, dass Won Da Pie, Nicolas, Véronique und die anderen nicht mit nach Deutschland kommen konnten! Im Stall würde ich niemandem davon erzählen, wie schön es hier im Club gewesen war, nicht einmal Dorothee und Inga. Auch wenn sie meine Freundinnen waren, würden sie mir nicht glauben. Ich würde wieder auf Liesbeth oder Goldi in der Reithalle in der Abteilung reiten und nur mit viel Glück einen Ausritt durch den langweiligen Eichwald machen dürfen.
Won Da Pie legte unwillig die Ohren an, als ich ihm vorsichtig den Sattel auf den Rücken legte. Beim Festschnallen des Gurtes schlug er mit einem Hinterbein aus und knirschte mit den Zähnen. Das Auftrensen ging ohne Probleme vonstatten.
»Ich habe ihn fertig!«, rief ich Nicolas zu, der mit Rémy vor der Box von Hélice stand und eine seiner unvermeidlichen Zigaretten rauchte.
»Gut, dann komm mal mit.« Er ergriff die Longe und die Longierpeitsche und nahm Won Da Pies Zügel.
In
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