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Charlottes Traumpferd

Charlottes Traumpferd

Titel: Charlottes Traumpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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der Reithalle würde ich nicht das lernen, was mir Nicolas beibringen konnte. Ich sah Thierry durch den Paddock schlendern. Auch das noch! Da holte ich tief Luft, straffte die Schultern und führte Caramel in die Reitbahn. Ich würde nicht aufgeben. Jetzt erst recht nicht!

Ich war in diesem Sommer das einzige »Opfer« von Nicolas, und er widmete sich mir mit wahrem Enthusiasmus. Tag für Tag kämpfte ich mit Won Da Pie, aber ich ritt nicht nur ihn, sondern auch die anderen Pferde. Außerdem ließ mich Nicolas Sitzübungen mit oder ohne Sattel auf Caramel und Lucky Luke machen und mit Kébia ohne Steigbügel und Zügel durch eine Reihe von kleinen Hindernissen springen. Vier Tage konnte ich vor Muskelkater kaum laufen. Es gab keine einzige Stelle an meinem Körper, die nicht entweder schmerzte oder wund war.
    Aber die Quälerei zeigte erste Erfolge. Situationen, in denen mir noch vor einer Woche der Angstschweiß ausgebrochen wäre, ließen mich mittlerweile kalt. Auf Won Da Pies Ausschlagen beim Angaloppieren war ich nun vorbereitet, auch das plötzliche Scheuen aus unersichtlichen Gründen brachte mich nicht mehr aus dem Gleichgewicht. Am fünften Tag bemerkte ich, dass mein Körper automatisch begann, auf dem Pferd die richtige Haltung anzunehmen. Darauf hatte ich mich sonst immer verkrampft konzentrieren müssen.
    Nicolas war ein harter, aber gerechter Lehrer. Sein Lob, selten wie ein Sonnenstrahl an einem regnerischen Novembertag,machte mich unendlich stolz. Im Laufe der Reitstunden wurde seine Kritik seltener und weniger vernichtend. Ich störte das Pferd nicht länger im Maul, wenn ich aussitzen musste oder galoppierte. Mein Steigbügel konnte ich drei Löcher länger schnallen, ohne die Bügel von der Fußspitze zu verlieren. Ich spürte, ob ich im falschen oder richtigen Galopp war, und musste nicht länger minutenlang auf die äußere Schulter des Pferdes starren, um festzustellen, ob ich auf dem richtigen Fuß leichttrabte. Nicolas verlagerte seine Kritik nun von meinem Sitz auf meine Einwirkung aufs Pferd. Einige Male ließ er mich auf Gosse d’Irlande reiten, denn Won Da Pie ging sehr leicht am Zügel.
    Â»Das ist mit ihm keine Kunst«, behauptete Nicolas, »aber wenn du das bei Gosse hinbekommst, dann bist du auf dem Weg der Besserung.« Dabei grinste er harmlos.
    Gosse stemmte sich beharrlich gegen meine Hand. In meiner Verzweiflung zog ich immer stärker an den Zügeln.
    Â»Lass die Zügel locker!«, donnerte Nicolas. »Annehmen und nachgeben! Halbe Paraden am äußeren Zügel und vergiss deine Beine nicht! Herrje, Charlotte, deine Beine! Benutze sie doch mal! Kreuz anspannen und locker lassen …«
    Er ließ mich Volten, Schlangenlinien und Zirkel reiten und immer wieder die Hand wechseln. Ich lernte, das Pferd nicht nur am Zügel herumzuziehen, sondern mit Schenkel- und Gewichtshilfen zu lenken.
    An einem Nachmittag, an dem ich Gosse d’Irlande beinahe hasste, klappte es endlich. Am liebsten hätte ich dem großen Braunen grob im Maul gerissen und die Schenkelgegen seinen Bauch gebolzt, wie ich es manchmal verzweifelt bei Brutus oder Farina tat. Ich saß schon zwanzig Runden aus. Meine Zähne klapperten gegeneinander, so gemein schüttelte mich dieses Vieh durch. Doch dann geschah ein Wunder! Ich spürte, wie er nachgab. Sein harter Rücken begann zu schwingen, er fing an zu kauen und bog den Hals, der bis dahin wie ein fester Baumstamm vor mir aufgeragt war.
    Â»Spürst du es?«, schrie Nicolas begeistert, als hätte ich soeben die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen errungen. »Spürst du, wie er nachgibt und untertritt, dieser sture Klotz?«
    Ich nickte konzentriert. Nur weich bleiben mit der Hand, nicht ziehen! Druck erzeugt Gegendruck! Mit Gewalt kann man kein Pferd zwingen, etwas zu tun. Dazu fehlte mir auch die Kraft. Ich hatte es lange genug so versucht und niemand hatte mir vorher erzählt, wie es besser ginge.
    Kurz dachte ich an Herrn Kessler, der selbst so abgestumpft wie ein altes Schulpferd war. Er machte ohne große Begeisterung eine Reitstunde wie die andere und erduldete stoisch die untalentierten Reiter, weil sie Geld in die Kasse des Vereins einbrachten. Vielleicht sagte er mal so etwas wie »Bolz nicht so mit den Schenkeln!« – aber was man stattdessen tun sollte, das sagte er nicht.
    Aus den Augenwinkeln sah ich

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