Charlottes Traumpferd
einige Leute über den Parkplatz kommen. Welchen Spaà es doch machen konnte, Gosse dâIrlande zu reiten! Nie mehr würde ich den klobigen braunen Wallach als sturen Bock ansehen. Es kam wirklich nur darauf an, wie man ihn ritt.
»Hallo, Lotte!«, rief jemand.
Im Vorbeitraben erkannte ich Papa, Mama, Cathrin und Flori am Zaun.
»Hallo!«, rief ich zurück und war stolz, eine so gute Figur auf dem Pferd zu machen.
Nicolas erkannte Papa und ging zu meiner Familie an den Zaun. Ich parierte durch zum Schritt und ritt zu ihnen.
»Wir wollten nur mal unsere Tochter besuchen«, sagte Papa zu Nicolas, der ihm und Mama die Hand reichte. »Sie ist ja nur noch zum Schlafen bei uns.«
»Charlotte ist meine beste Schülerin seit Langem«, sagte Nicolas, und ich wäre fast vor Stolz geplatzt. »Es ist echt schade, dass sie bald wieder nach Hause fahren muss.«
Ich hatte Papa und Mama nicht ausführlich von den Einzelreitstunden erzählt, nur, dass ich ab und zu auf Won Da Pie reiten durfte.
»Ist das Won Da Pie?« Mama deutete auf Gosse.
»Wer?«, fragte Nicolas verwirrt.
»Der Braune«, erklärte ich rasch. »Ich nenne ihn Won Da Pie.«
»Aha.« Nicolas wandte sich wieder meinen Eltern zu. »Nein, das ist Gosse dâIrlande. Charlotte reitet verschiedene Pferde. So lernt man das Reiten am besten.«
»Aber ich habe doch nur zehn Stunden bezahlt«, sagte Papa.
»Charlotte hilft uns so viel, dass ich ihr dafür Reitunterricht gebe«, erwiderte Nicolas. »Hat sie sich noch nicht beschwert, dass ich sie in der letzten Woche so sehr gequält habe?«
»Nein.« Mein Vater grinste. »Das ist ja ganz neu, dass Charlotte sich quält. Normalerweise macht sie es sich lieber bequem.«
»Du bist gemein, Papa«, sagte ich verlegen.
»Na ja«, Nicolas zwinkerte mir zu, »du weiÃt schon, dass das stimmt, hm?«
Er öffnete das Gatter des Paddocks und lud meine Familie ein, mit zu den Stallungen zu kommen.
Während ich Gosse versorgte, in seine Box brachte und meinen Geschwistern Won Da Pie und die anderen Pferde zeigte, unterhielt sich Nicolas mit Papa und Mama. Véronique kam später auch noch dazu. Cathrin und Flori durften ein paar Runden auf Caramel an der Longe reiten.
»Wie wäre es jetzt noch mit einer Stunde auf â wie nennst du ihn gleich?«, fragte Nicolas.
»Won Da Pie«, antwortete ich und lächelte. »Klar.«
Ich rannte in die Sattelkammer und holte Sattel und Trense. Geputzt hatte ich den braunen Wallach heute Morgen schon, sodass ich zehn Minuten später mit dem gesattelten Pferd auf den Reitplatz kam.
»Ist er nicht ziemlich wild?« Meine Mutter war etwas besorgt. Ich war froh, dass sie normalerweise nicht mit in den Stall kam, wie das andere Mütter taten, die bei jeder Reitstunde ihrer Kinder auf der Tribüne saÃen, im schlimmsten Fall noch mit einer Kamera! Mama hatte wenig Zeit, und meine Stürze und Niederlagen hatte ich ihr bisher immer verschwiegen.
»Ja, das war er auch«, bestätigte Nicolas. »Meinen Neffen Thierry oder mich duldet er nicht auf seinem Rücken, dannbockt er wie ein Rodeopferd. Charlotte hat sich mit viel Geduld sein Vertrauen erworben. Sie darf ihn reiten.«
»⦠obwohl er mich manchmal abwirft«, ergänzte ich, während ich nachgurtete.
Won Da Pie knirschte wie immer mit den Zähnen und schnappte nach meinem Arm. Meine Eltern wichen unwillkürlich einen Schritt zurück.
Ich ritt eine Weile im Schritt in der Reitbahn herum, dann trabte ich an. Bis zum Nachgurten trabte ich leicht, danach saà ich aus. Es folgten verschiedene Bahnfiguren. Was für ein Unterschied war es doch zwischen Gosse dâIrlande und dem quirligen, lebhaften Won Da Pie!
Doch mein Hochgefühl sollte nicht lange anhalten. In einer Ecke der Reitbahn schien sich heute wieder einmal ein für Menschen unsichtbarer Geist zu verstecken. Schon ein paar Meter vor dieser Ecke drängte Won Da Pie nach links und machte sich fest.
Nicolas lieà mich Volten reiten, aber das passte dem temperamentvollen Wallach nicht. Ich war wieder schweiÃgebadet, bis es mir gelang, Won Da Pie locker um die ganze Bahn zu reiten. Der Reitlehrer erinnerte mich an die Tatsache, dass der Wallach mit sechs Jahren noch ziemlich jung und dazu mitten in den Flegeljahren war.
»Ab und zu will er testen, wer der Stärkere von euch beiden
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