Charlottes Traumpferd
und unerwartet buckeln. Schon öfter hatte ich unfreiwillig im Sand gelegen, wenn es ihnen plötzlich in den Kopf kam, denselben zwischen die Vorderbeine zu stecken und dabei auszukeilen. Ganz gemein war auch Flocki, der Knabstrupper Schimmelwallach,an dem nur der Name harmlos war. Wenn er keine Lust hatte, blieb er einfach in der Mitte der Reitbahn stehen oder rannte in rasendem Galopp los.
Meine Freundin Dorothee war viel energischer als ich. Sie hatte keine Angst, die Reitgerte in die Hand zu nehmen, um sich durchzusetzen. Dafür durfte ich oft die neuen Schulpferde reiten, wenn es welche gab, denn Herr Kessler fand, dass ich eine feine Hand hätte und weich im Sattel sitzen würde. Wenn sie neu waren, waren die Schulpferde noch schön zu reiten, aber mit der Zeit stumpften sie ab oder gewöhnten sich gemeine Tricks an, die mich in Angst und Schrecken versetzten. Früher war es auch deshalb mein gröÃter Traum gewesen, ein eigenes Pferd zu haben. Ein Pferd, das nur mir gehörte!
Papa lachte immer, wenn ich wieder einmal meinen Wunsch nach einem eigenen Pferd äuÃerte, und winkte ab.
»Beweise mir erst einmal, dass du es auch wirklich ernst meinst mit den Pferden«, pflegte er zu sagen und mich dann gnadenlos an all das zu erinnern, was ich schon mit Feuereifer begonnen und nicht zu Ende geführt hatte: Judo, Klavierspielen, Basketball oder Voltigieren. Er begriff einfach nicht, dass Pferde etwas völlig anderes waren. Aber ich war fest entschlossen, es ihm zu beweisen. Seit es Gento für mich gab, hatte sich mein groÃer Traum darauf reduziert, ihn eines Tages reiten zu dürfen. Schon deshalb musste ich besser reiten lernen, auch wenn ich mich fragte, wie das wohl mit einer läppischen Reitstunde pro Woche funktionieren sollte.
Im vergangenen Herbst hatte ich immerhin schon denReiterpass erworben und mit Springstunden begonnen. Meine Eltern bezahlten mir nur eine Reitstunde in der Woche, das war schon teuer genug. Dorothee ging es genauso. Aus diesem Grund schufteten wir im Stall, um uns noch eine zweite Reitstunde dazuzuverdienen. Wir luden Heu und Stroh mit ab und schleppten die schweren Ballen auf den staubigen Heuboden über dem Stall, bis unsere Rücken schmerzten und unsere Arme lang und länger zu werden schienen. Wir kehrten die Bande in der Reithalle ab, putzten das Sattelzeug der Schulpferde und störten uns nicht daran, dass wir zu Hause Stress wegen unserer schmutzigen Klamotten bekamen. Die zweite Reitstunde in der Woche war jeden Ãrger wert.
Nach der Reitstunde übergab ich Tanja an die Reiterin der nächsten Stunde und holte Gento aus seiner Box. Ich band ihn im Schatten der mächtigen Kastanie vor seiner Box an und begann, sein verklebtes Fell wieder auf Hochglanz zu bringen. Dorothee und Inga setzten sich auf die Bank nebenan.
»Es ist echt schade, dass du nicht bei dem Lehrgang mitmachen kannst«, sagte Dorothee.
Schade? Es war eine Katastrophe, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Insgeheim hegte ich die Hoffnung, dass Dorothee und Inga aus Solidarität zu mir auch nicht teilnehmen würden, aber da hatte ich mich getäuscht.
»Es wird sicher lustig«, schwärmte Inga. »Jeden Morgen und jeden Nachmittag gibt es jeweils eine Reitstunde. Dreimal die Woche ist Springstunde und Theorie.«
Mir entging nicht, wie sie Dorothee mit dem Ellbogen anstieÃ. Ich biss mir auf die Lippen und fühlte mich ganz und gar ausgeschlossen. Während meine angeblich besten Freundinnen Ãberlegungen anstellten, wer wohl alles bei dem Lehrgang dabei sein und wer welches Pferd reiten würde, hätte ich vor Enttäuschung und Zorn heulen können.
»He, da kommen Dani und Susanne.« Inga sprang auf. »Ob die wohl schon von dem Lehrgang wissen?«
Sie lief los und zog Dorothee hinter sich her. Ich blieb allein mit Gento zurück und kämpfte gegen die Tränen. Es war nicht dieser blöde Lehrgang, den ich verpassen würde, nein. Viel enttäuschender war das Gefühl, dass ich meinen Freundinnen gleichgültig war. Ich wusste, dass Inga und Dorothee neidisch gewesen waren, als ich Gento als Pflegepferd und überdies einen Schlüssel für die zweite Sattelkammer bekommen hatte, obwohl sie es nie zugegeben hatten. Jetzt kam es mir so vor, als würden sie mit voller Absicht Salz in meine Wunden streuen.
»Hallo, Charlotte.« Isa blieb mit dem braunen Vollblutwallach Natimo am Zügel
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