Chefsache
blasen
soll.“ Timo hielt inne, als er Bennys entsetzten Ausdruck bemerkte. „Keine
Sorge, er war nicht genug bei Sinnen, um mich zu irgendetwas zu zwingen, und
ich kannte noch einige Griffe von der Feuerwehrzeit – man muss wissen, wie man
hysterische Personen sichert, damit sie einen nicht verletzen können. Keine
dreißig Sekunden später hatte ich Peter unter die Dusche verfrachtet und
traktierte ihn so lange mit kaltem Wasser, bis er wieder halbwegs bei Verstand
war. Danach hab ich seine Sachen gepackt – er hat derweil abwechselnd geheult
und mich verflucht – und ihn mitten in der Nacht aus meinem Leben geschubst.
Dafür hat er sich gerächt, indem er mir seinen Firmenanteil verkauft hat, was
ich akzeptieren musste, um keinen jahrelangen gerichtlichen Streit zu
provozieren, den ich nur hätte verlieren können. Das hätte mich fast ruiniert,
ich war gezwungen, mich von unserem jetzigen Mutterkonzern schlucken zu lassen.
Seitdem bin ich nicht mehr mein eigener Herr und muss mir von irgendwelchen
Pappnasen, die kaum über ihren Schreibtischrand schauen können, alles
vorschreiben lassen. Welche Farbe meine Hemden haben müssen, mit welchen Kunden
ich verhandeln darf, wie viel Gehalt meinen Mitarbeitern zusteht … Na ja, dafür
hab ich mehr Freizeit als früher.“
Betroffen
rang Benjamin mit sich, wie er jetzt reagieren sollte. Timo klang aufgewühlt
und bitter, man spürte den Frust, der sich vermutlich über Jahre aufgestaut
hatte. Bevor er sich zurückhalten konnte, ertappte er sich dabei, wie er von
Ingo erzählte. Von den vielen Versprechen, die alle gebrochen wurden, von der
Demütigung, immer wieder mit Frauen betrogen zu werden. Von den Schlägen, als
Benjamin sich trennen wollte, die ihn mit schwerer Gehirnerschütterung und gebrochenen
Knochen auf die Intensivstation gebracht hatten. Von den Vorwürfen seitens
Freunde und Familie, die nicht verstehen konnten, dass er Ingo nicht anzeigen
wollte. Etwas, was er selbst niemals begriffen hatte, denn mit Liebe hatte es
nichts zu tun gehabt. Zumindest hatte der Schweinehund ihn danach nie wieder
belästigt.
„Aber
egal wohin ich ging, alles erinnerte mich an ihn. Ich stamme aus einer
Kleinstadt, es blieb nicht aus, dass wir uns gelegentlich trafen. Und da war
der Supermarkt, wo wir die Sachen für unser erstes Date gekauft hatten – ein
Picknick am Rheinufer. Oder die Eisdiele, wo wir uns meistens getroffen hatten.
Quasi jede Ecke war ein Denkmal. Darum bin ich weggezogen.“
„Du
hast ihn wirklich geliebt?“, fragte Timo einfühlsam.
„Ja.
Oder ich habe es geglaubt. Wunschdenken vielleicht, keine Ahnung. Er konnte
unglaublich lieb sein, wenn er es darauf anlegte. Vor allem, wenn er mit mir
ins Bett wollte. Ingo war meine erste und einzige richtige Beziehung. Es war
nicht einfach als Schwuler in meiner Provinzecke, obwohl meine Familie und die
meisten anderen auch mich immer völlig normal behandelt haben. Na ja, ich
denke, weil fast jeder wusste, dass ich schwul bin, wollte sich niemand mit mir
zusammen sehen lassen, der kein Outcoming geplant hatte.
Irgendwie so etwas … Ingo war der Einzige, der es toll fand, mit mir Hand in
Hand durch die Straßen zu laufen und mich offen auf dem Marktplatz zu küssen.
Genauso wie er in Discos in den umliegenden Städten halbnackte Mädchen mit
riesigen Titten auf der Tanzfläche geküsst hat. Irgendwie brauchte er das wohl
…“ Benjamin atmete tief durch. Ingo war Vergangenheit. „Nachdem er mich
krankenhausreif geprügelt hatte, war ich endlich kuriert.“ Seltsam, wie leicht
es ihm fiel, mit Timo über all das zu reden. Selbst bei Nadja, seiner
Zwillingsschwester, hatte er sich gehemmt gefühlt, sich für seine Dummheit
geschämt und das Mitleid in ihren Augen gehasst. Bei Timo war nichts davon zu
spüren, sicherlich, weil der Ähnliches erlebt hatte und ihn verstand statt zu bedauern
und keinerlei Vorwürfe machte, weil er bei diesem Idioten geblieben war …
Sie
wechselten zurück zu den leichteren Themen, plauderten über Fußball, Politik
und allgemeinen Dingen, wobei Timo geschickt alles vermied, was auf ihre Arbeit
hinwies. Benjamin musste sich immer wieder daran erinnern, dass er seinem Chef
gegenüber saß und keinem Kumpel. Und erst Recht keinem Date …
~*~
„Gib
mir deinen Teller“, sagte Timo und gab seinem Gast eine großzügige Portion
Chili con Carne. Dazu gab es Baguette, leider nur Tiefkühlware, und ein
bisschen Salat für jeden. Zu schade, dass er nicht auf Besuch
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