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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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die Brandling-Hefte in meine neue Handtasche gleiten und stolzierte damit umher. Es war, wie ich es mir gedacht hatte – die Tasche schmiegte sich genau zwischen Arm und Brust. Ich war derart in Gedanken, wartete so ungeduldig darauf, die Hefte holen zu können, dass ich den eigenartigen Dunst über dem Eisfeld vielleicht nicht bemerkt hätte. Dann aber sah ich auf. Und die Sonne kam heraus. Und der ganze Garten verwandelte sich in edelstes Gold, übernatürlich schön und überaus eigenartig.
    Einen kurzen Moment lang war ich voller Staunen und vergaß meine Trauer. Ich langte nach dem Laptop, doch erst, als ich ihn zu mir zog, begriff ich, was ich vorhatte – ich wollte Matthew hiervon erzählen.
    Ich küsse deine Zehen. Ungelesen.
    Ich hatte eine neue Mail von Crofty. Er schrieb: »Ich hab’s in Ordnung gebracht.«
    Ich dachte, wie will der irgendwas in Ordnung bringen? Dann verstand ich. Er hatte meine ungehobelte Mail gelesen und gedacht: Ich bin zweifelsohne ein elendig blöder Mensch. Also hatte er liebenswerterweise still und heimlich die verdammten Teekisten samt deren Inhalt wieder aus meiner Werkstatt fortgeschafft.
    Er hatte genau das getan, worum er von mir gebeten worden war, hatte mir mein Projekt genommen. Und er hatte für Wochenendarbeit Überstundenzuschlag kassiert. Es war wie ein Märchen mit Moral. Dank meiner üblen Laune befanden sich Henrys sämtliche Notizhefte jetzt außer meiner Reichweite.
    Ich machte den Cognac auf, nahm gleich einen Schluck aus der Flasche und fand die Personalliste vom Swinburne.
    »Hallo? Sind Sie das, Arthur?«
    »Arthur ist gerade nach draußen gegangen.«
    »Ich bin Miss Gehrig von oben, aus der Abteilung Horologie. Ich arbeite in 404 .«
    »Sie haben sie verpasst, Miss Gehrig. Ich schätze, um kaum mehr als dreizehn Minuten.«
    »Haben Sie was vom Hagel abbekommen?«
    »Tja, Miss, genau genommen hat wohl eher Arthur den Hagel abbekommen. Soll ich ihm was ausrichten, falls er noch lebt?«
    »Ist Mr Croft da?«
    »Er war knapp drei Stunden mit Arthur hier. Dann sind sie zusammen rausgegangen.«
    »Und sind jetzt im Fox and Hounds?«
    »Um sich die Wunden zu lecken.«
    Ich hegte keinen Zweifel daran, dass die Herren den Nachmittag damit verbracht hatten, die Teekisten zu entfernen. Also blieb mir keine Gelegenheit mehr, die Notizhefte zu lesen. Ich brachte kein Wort heraus und legte auf. Dann rief ich wieder an und entschuldigte mich dafür, den Hörer fallengelassen zu haben. Ich sagte, bis Montag dann.
    Ich kam nicht drauf, dass der leitende Kurator für Horologie sich mir zuliebe in einen körperlich arbeitenden Menschen verwandelt hatte und sah nur, dass mir der ganze Sonntag blieb, um diese neue Qual zu erleiden. Also schön, ich wollte mich nicht in Selbstmitleid suhlen und öffnete daher die Terrassentür, wuchtete sie trotz Eis auf, ging mit knirschenden Schritten die drei Stufen hinauf in den Garten und schob den hässlichen Rasenmäher aus meinem Blick.
    Das genügte, um an meinen Händen den Geruch von Öl und Gummi zu hinterlassen, das Parfüm meiner Nächte in einer umgebauten kleinen Scheune in Suffolk, in einem Hain unweit von Beccles, in einem gemütlichen Hochbett über einem Mini Minor, den wir in jahrelanger Arbeit restaurierten. So roch unsere Liebe, nach Öl, nach Gummi, nach muffigem, brunftigem Sex. Während der glücklichsten Nächte meines Lebens wurde mein Körper in blättrige Schatten gebadet, in Scheinwerferlicht von einer Kurve der A 12 .
    Wie ich nun in der Kennington Road saß und Öl und Gummi an meinen Händen roch, dachte ich nicht länger an Henry Brandling und seine Ente. Das Eis war geschmolzen, die Luft feucht. Und während eine grasige Brise durchs offene Küchenfenster wehte, erinnerte ich mich daran, wie es gewesen war, in der kleinen Scheune im Bett zu liegen und zu hören, wie der herrliche Suffolk-Regen auf unser dünnes Dach fiel.

3
    Am Montagmorgen drückte ich auf die Klingel am Tor zum Annex, und die herzlose Mitte des Drehkreuzes kreiste um sich selbst. Von diesem Augenblick an hielt mich eine Kamera fest.
    Die Rezeption war zur Linken, und dort wartete Arthur. Ich konnte ihn wohl kaum fragen, wo die Teekisten abgeblieben waren.
    »Guten Morgen, Mr Phelps.« Er hob den Kopf, und ich sah die verquollenen Säuferaugen.
    »Sie mussten meinetwegen am Samstag arbeiten. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
    Der alte Kauz rieb sich übers fuchssilbrige Haar. »Ich möchte sagen, die Schuld hat Mr Croft schon beglichen, Miss

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