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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Zimmermädchen, das Ihr Zimmer putzt?«, erwiderte Frau Beck, als wollte sie sich über mein Englisch mokieren. »Ihr Zimmermädchen ist abgereist.«
    »Natürlich«, rief ich und suchte ihren Blick hinter den Brillengläsern. »Natürlich arbeiten diese Verbrecher nicht allein.«
    »Es ist Frühjahr, Herr Brandling. Da fährt das Zimmermädchen zu seiner Familie in den Schwarzwald. Damit war zu rechnen. Das macht sie jedes Jahr.«
    »Sie hat meine Pläne mit in den Schwarzwald genommen!«
    »Wir wissen, Herr Brandling, dass dies unmöglich ist.«
    »Aber so ist es, Frau Beck, glauben Sie mir.«
    »Und diese Pläne waren dieselben, die Sie auch Herrn Hartmann gezeigt haben?«
    »Es sind meine Pläne. Andere habe ich nicht.«
    Frau Beck tunkte ihre Feder ins Tintenfass und entließ mich damit.
    Daheim hätte ich jemanden zur Polizei geschickt, auf dass allen Dienstboten eine Heidenangst eingejagt werde (wie es auch die beiden Male geschehen war, als meine Frau ihren Ehering verloren hatte).
    Ich ließ Frau Beck wissen, dass ich auf mein Zimmer gehen würde, um eine Beschwerde zu schreiben, bezweifelte aber, dass sie wusste, was ich meinte. Wie hätte ich es selbst wissen können? Was wollte ich schreiben? Und auf Englisch? An wen sollte ich meine Vorwürfe richten? Nein, ich musste mir die Worte verkneifen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Pläne noch einmal zu bestellen, was natürlich heißen würde, dass die technischen Zeichner die Abbildungen in der
London Illustrated News
aufs Neue übertragen mussten, obwohl mein Bruder ihnen deutlich zu verstehen geben würde, dass ›Mr Henrys‹ Bitte nun noch weniger willkommen war als beim ersten Mal.
    Und doch, war mein kleiner Junge nicht das wichtigste Familienunternehmen? Er war ein Brandling; so heißt im Englischen übrigens auch der Lachs, ehe er ins Meer zieht, ein Sälmling, Salm, Babylachs, Blanklachs, Harkenlachs oder eben ein Brandling. Mein Bruder musste einsehen, dass Percy unsere Zukunft bedeutete. Er selbst hatte ja keine.
    Ich kehrte in mein Nest zurück und legte mich aufs Bett. Wie lang ich schlief, könnte ich nicht sagen, doch weckte mich, was wie ein Mäuserascheln klang, da jemand versuchte, etwas unter der Tür durchzuschieben. Im Nu war ich auf den Beinen.
    Ich erwischte den Sohn des Zimmermädchens, Umschlag in der Hand, die blauen Augen vor Angst weit aufgerissen, packte ihn am langen weißen Unterarm, zerrte die humpelnde Kreatur ins Zimmer und spürte die magnetische Lebenskraft, als der Junge an meinem Arm rüttelte, zerrte und um sich schlug wie ein Hase oder ein Kaninchen in der Falle. Ich stieß die Tür zu und griff nach dem anderen Arm – falls er Läuseeier unter den Fingernägeln hatte, wollte ich nicht, dass sie sich unter meiner Haut häuslich einrichteten.
    Gefangen – mein kleiner Bandit, mitten im geweißten Zimmer, zitternd, weinend, den zerknüllten Brief in der Hand. Dann machte es klopf, klopf, klopf, es wurde an der Klinke gerüttelt, und seine Komplizin erschien, das Zimmermädchen, ein rotes Kopftuch im weizenblonden Haar. Die Zweite im Bunde brauchte nicht hereingezerrt zu werden, ja, sie stürzte gar herein, um ihren Sprössling zu umarmen. Dort, am Fuße des so seltsam asketischen Bettes, das sie gerade erst gemacht hatte, küsste sie ihn auf den Kopf und funkelte mich an. Ich war ein Rohling. Fest schmiegte sich der Junge an seine Mutter und musterte mich mit Angst und Hass; der wilde Blick verriet einen weit stärkeren Willen, als ich ihn besaß. Dennoch wollte ich, dass mein kleiner Feind mich gern hatte.
    Bislang hatte ich die Mutter recht proper gefunden, nun aber sah ich ihren langen, zart geschwungenen Lippen die Einsicht an, dass alles Glück nur vorbehaltlich war. Ihre Haut schimmerte fein wie die einer Engländerin, ihre Diebeshände allerdings waren schwielig und grob.
    »Geben Sie mir meine Pläne zurück«, verlangte ich.
    Sie legte das Verständnis der Schuldigen an den Tag.
    »Ihre Pläne sind in Sicherheit, mein Herr«, sagte sie, und ihr Englisch war so gut, dass es der natürlichen Ordnung widersprach. Soll heißen, sie erwies sich als ein in gefährlichem Maße gebildetes Zimmermädchen, das außer den exzentrischen Binns wohl niemand meines Bekanntenkreises eingestellt hätte.
    Ich sagte: »Sie sind in Sicherheit, sobald sie wieder bei ihrem rechtmäßigen Besitzer sind.«
    Sie wagte es, mir zu widersprechen.
    »Nein, sie dürfen nicht länger in Karlsruhe bleiben.«
    Ich fürchtete, ein

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