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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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heller Haut und strammen Beinen marschierten in Shorts vorbei. Matthew war großgewachsen und schlank. Er hatte die hübschesten Beine. Es war schrecklich schwül, der Himmel erdrückend, fedrig und sehr, sehr traurig.
    Ich hatte Angst, nach Hause in mein Nichts zu gehen, fürchtete mich vor dem Nachmittag, vor der kommenden Nacht. Daher nahm ich mir vor, mit einem Vorwand in den Annex zu gelangen. Schließlich kam ich bis Earl’s Court, nur hatte der Shuttle nach Olympia offenbar Selbstmord begangen. Also ging ich in Richtung Norden und merkte nicht, wie hinter mir der Himmel immer dunkler wurde. Auf diese Weise geriet ich in den Bezirk, den Makler gern Brook Green nennen.
    Mein Mann im angenehm belaubten Schatten von Kensal Rise war der Beste der Besten, und ich dachte, wie sehr ihm dies gefallen hätte – besonders die kleine Weinbar. Die Läden sahen hübsch aus im goldenen Licht, als ich in eine sehr stille Straße grauer und pastellfarbener Häuser bog, und da war ein Geschäft an der Ecke, das fand ich wirklich überaus charmant. Als ich näher kam, stellte sich heraus, dass es ein ganz besonderes Geschäft war, denn es verkaufte ganz, ganz schlichte Taschen, von denen ich dringend eine benötigte. Es war geschlossen. Dann aber entdeckte ich drinnen eine Frau, und sie machte Licht, als sie auf mich zukam. Sie war ein eigenartiges, gleichsam aufs Wesentliche reduziertes Wesen, um die fünfzig, schrecklich mager und sehr klein, jene Art ernster, aber interessanter Charakter, wie man ihn gewöhnlich den Franzosen zuschreibt. Das Haar war kräftig, grau, kurz geschnitten, eine ziemlich teure Frisur. Sie machte die Tür auf und runzelte die Stirn, als wüsste sie, dass mein Geliebter tot war und ich mich schämen sollte, weil ich auch nur daran dachte, einkaufen zu wollen.
    »Sie haben sich bestimmt beeilt«, sagte sie. Ich wusste nicht, dass sie auf das drohende Unwetter anspielte.
    Sie ging zurück ins Geschäft, in dem, locker an einem Haken, die schlichteste Tasche hing, die ich je gesehen hatte. Sie war aus schwarzem Leder, sehr weich und überaus leicht. Ich hängte sie mir über die Schulter, und sie verschwand unter meinem Arm, löste sich praktisch auf. Innen besaß sie zwei Fächer, eines mit Reißverschluss, das andere ohne. Am schönsten fand ich jedoch das Futter aus einer Art Pfauenseide. Dies war die Tasche, deren einzige Funktion es sein würde, Henry Brandling aus dem Annex zu schmuggeln.
    Die Frau war Italienerin, keine Französin. Sie sagte, die Tasche koste hundert Pfund.
    Sie sagte, es tue ihr leid, aber würde es mir etwas ausmachen, bar zu zahlen? Ich hatte gerade genug dabei.
    Sie gab mir die Tasche, ohne sie einzupacken, und drängte mich dann höflich, aber bestimmt, aus dem Laden.
    Ich hörte einen heftigen Donnerschlag und so etwas wie ein zischelndes Geräusch. Noch regnete es nicht, der Himmel aber war schwarz und blutrot wie ein Rothko. Und dann tauchte an der Ecke ein Taxi auf mit freundlich gelbem Licht. Kaum saß ich drinnen, begann der Regen; dicke, fette Tropfen schlierten wie Glyzerin über die Windschutzscheibe. Ich sah einen Blitz ins Natural History Museum einschlagen, zumindest sah es so aus.
    In der Kennington Road hätte ich gleich ins Haus laufen sollen, doch ließ ich mich vor dem Weinladen absetzen, dem
Weini
, wie Matthew ihn immer genannt hatte, in dem ich mir mit der MasterCard eine Flasche Cognac kaufte. Als ich wieder nach draußen kam, war es dunkel, nur ein seltsam gelber Schimmer lag über den Häusern. Ich fand, der Regen hatte nachgelassen – vielleicht hatte er das tatsächlich –, doch kaum war ich halb über die Straße, begann es zu hageln, Körner so dick wie Eiswürfel im Hotel, wie Flusskiesel, die grausam, gnadenlos auf meinen bloßen Kopf und die ungeschützten Schultern prasselten. Als ich meine Küche betrat, tat mir alles weh, und ich war klatschnass. Ich sah, wie die monströsen Hagelkörner sich im Garten anhäuften. Ach, warum hast du mich verlassen?

2
    Hagel und Hass, brausend laut wie ein Zug, der Garten zu Tode gesteinigt, zerstoßenes Glas oder Eis, jetzt fünf Zentimeter dick, die Geranien flach am Boden, der Seidelbast vernichtet. Weiß Gott, was mit meinem Nachbarn geschah, den Rasenmäher hat er jedenfalls mitten in meinem Blickfeld stehengelassen.
    Im Bad untersuchte ich die aufblühenden blauen Flecken, doch dauerte das nicht allzu lang, und bald war mein Haar wieder trocken, und ich saß im Morgenmantel am Küchentisch. Ich ließ

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