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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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der Hand über die Kehle, um anzudeuten, dass sie Sumper selbst erledigen würden, falls es die Maschine nicht für sie besorgte.
    Als Sumper in die Arbeit an der Drehbank eingeführt wurde, schien sie ihm anfangs nicht allzu schrecklich zu sein. Thigpen erklärte, dass die übrigen Instrumente in seiner Werkstatt größtes Feingefühl verlangten und nach jedem Gebrauch aufs Neue präzise eingestellt werden müssten. In vielen Fällen würde mehr Zeit für die genaue Kalibration als für die eigentliche Produktion aufgewandt.
    Ich sagte Sumper, ich sei kein Mechaniker, weshalb ich nichts davon verstünde.
    »Genauso ging es mir, Herr Brandling. Es blieb nicht einmal Zeit, mir die Namen der einzelnen Dinge zu merken.«
    Ganz allgemein gesprochen, erklärte Thigpen, sei es wirtschaftlich besser, eine Maschine stets denselben Arbeitsgang vollziehen zu lassen. Kein Schlendrian, sagte er. So sollte eine der Drehbänke zum Beispiel ununterbrochen Zylinder herstellen. Seine Männer seien zwar stolz darauf, sich dem Schlendrian hinzugeben, aber jene Tage seien in der Bowling Green Lane gezählt.
    »Eine Drehbank, ein Arbeitsgang«, sagte er.
    Sumper war Ausländer und tat, was kein Engländer zu tun wagte. Er hatte keine Angst vor ihnen. Das wiederholte er viele Male.
    Wenn er sterben würde, dann höchstens an Langeweile. Die Arbeit an der voreingestellten Drehbank kam der allmählichen Ermordung jeglicher Intelligenz und allen Geschicks gleich.
    Doch obwohl er zu den untersten Rängen zählte, bemerkte er bald, dass man hier ein größeres Spiel trieb. Und je geschickter er wurde, desto mehr Zeit blieb ihm, sich umzusehen, weshalb er bald bemerkte, dass den lieben Tag lang Gentlemen kamen, Grafen und Herzöge, Mitglieder der Royal Society.
    »Die Royal Society«, sagte ich, »nun, die Herrschaften kamen vermutlich, um Ihnen Anweisungen zu erteilen.«
    Der Scherz kam nicht gut an, und ich bemühte mich gleich, den Schnitzer wieder auszubügeln. »Und was haben Sie nun in der Bowling Green Lane gelernt, Herr Sumper?«
    »Was ich gelernt habe, mein Kleiner? Nur, dass es Welten jenseits meines Wissens und Ihrer Vorstellungskraft gibt.« Er hob die Stahlknochen des Schwans an und brachte sie auf derart bedrohliche Weise vor mir zum Tanzen, dass ich meine dumme Bemerkung bedauerte. Mit langem, langem Arm imitierte er wie ein Tänzer die Halsbewegungen und sprang dann mit all seinen zweiundneunzig Kilo auf einen Stuhl, um ein enormes, furchterregendes Flügelschlagen anzudeuten.

Catherine
    Offenbar hatte Amanda ihrem Großvater erzählt, ich hätte Carls blauen Würfel gestohlen. Und dann hat es Großvater Crofty erzählt. Ich sah sie so deutlich vor mir, wie ich Brandling und Sumper in der Gaststätte vor mir sehen konnte – Amanda, ihr Großvater, Eric, alle in irgendeinem verwohnten Salon in Suffolk – Bücherregal hinter Glas, Decke teils durchhängend – die Spionin, die berichtete, die drei, die Entscheidungen trafen, die sie nicht zu treffen hatten.
    Der Courtauld-Absolventin musste beigebracht werden, dass sie mir Bericht zu erstatten hatte, nicht ihrem Großvater oder Eric Croft.
    Also redete ich mit ihr, aber natürlich nicht über den Würfel. Ich bestrafte sie. Ich untersagte ihr jede Arbeit, die nicht durch ihre ›Aufgabenbeschreibung abgedeckt‹ war. Ich führte mich wie ein totales Miststück auf und entzog ihr die von ihr so bewunderten Silberringe (die sie sehr gut gesäubert hatte), um sie alle Maße und Funktionen jedes nummerierten Einzelteils aufschreiben zu lassen. Das war eine sinnlose Verwendung ihrer Zeit, da sie ungeschickt im Umgang mit dem Mikrometer war und bei jedem Fehler kleine Verzweiflungsschreie ausstieß. Also ärgerten wir uns beide, doch blieb ich fest entschlossen, ihr beizubringen, wer hier das Sagen hatte. Ich schätze, ich hab’s vermasselt, denn eigentlich brachte ich sie nur durcheinander, vor allem, als ich ihr sagte, sie dürfe ihren sogenannten Frankenpod nicht benutzen, nicht einmal während der Mittagspause, die sie damit verbrachte, getrocknete Früchte und Nüsse zu knabbern und auf irgendwelche ziemlich ausgefallenen Bilder auf dem Bildschirm ihres Geräts zu starren.
    »Was ist das?«, wollte ich wissen, als wir unser ziemlich verschwitztes Gespräch beendeten. »Ein Musikvideo?«
    »Das wissen Sie nicht?«
    »Aus welchem Grund sollte ich sonst fragen?«
    »Die Ölkatastrophe. Das sind Bilder einer Webcam von der Ölkatastrophe.«
    Und so war Catherine Gehrig der letzte

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