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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Mensch auf diesem Planeten, der erfuhr, dass Abermillionen Barrel Öl in den Golf von Mexiko strömten. Zu dieser Katastrophe war es offenbar einen Tag vor Matthews Tod gekommen.
    Amanda war den Tränen nah. Sie packte ihre Sachen und steckte ihren Frankenpod ein, nur als die neugierige Heuchlerin, die ich war, hatte ich mir längst die Webadresse gemerkt. Sobald ich abends nach Hause kam, sah ich mir stundenlang diese Übelkeit erregenden Bilder an.
    Am nächsten Morgen wartete Amanda in der Werkstatt auf mich, und ich merkte ihr an, dass sie die Spannungen zwischen uns zur Sprache bringen wollte, nur konnte ich ihr ebenso wenig meine persönliche Beziehung zum Würfel erklären, wie ich ihr mein Entsetzen angesichts des Drecks zu gestehen vermochte, der ins Wasser des Golfs strömte, ein ›Unfall‹, der dem Ende der Geschichte selbst gleichzukommen schien.
    Ich machte mich sofort an die Arbeit und sah die Excel-Tabellen durch, die Amanda für mich angefertigt hatte.
    »Diese Tabellen sind sehr gut«, sagte ich, und es stimmte. Sie waren perfekt, trotzdem konnte ich ihr den Verrat nicht verzeihen.
    Das muss der Augenblick gewesen sein, in dem ich endlich begriff, dass Amanda Amanda war und sich folglich auch nicht einfach in Luft auflösen würde. Als ich mit der Durchsicht der Tabellen fertig war, zwang sie mich, mich mit ihr zu befassen.
    »Ich bin blöd gewesen«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass ich aus dem Nähkästchen geplaudert habe. Ich möchte mich dafür entschuldigen.«
    Sie wirkte so jung, ihre schöne Haut so straff, so sauber, wer wollte da bezweifeln, dass sie ehrlich zerknirscht war?
    »Sie lieben Ihren Großvater«, sagte ich.
    »Ich verstehe ja, dass es falsch war, was ich getan habe, Miss Gehrig. Ich hätte mit meinem Großvater nicht über die Arbeit tratschen dürfen.«
    »Ich nehme an, Mr Croft kommt Ihren Großvater dann und wann besuchen?«
    Und da war es – eine eigentümliche Angst oder ein Ehrgefühl ließ sie einen Schritt zurückweichen. »Über Mr Croft weiß ich nichts. Wirklich nicht.«
    »Amanda! Er hat Ihnen doch sicher geholfen, diesen Job zu bekommen.«
    »Nein!«
    Sie wurde rot im Gesicht, puterrot. »Nein, so etwas hätte mein Großvater nie getan. Er hat Strippenzieher schon immer gehasst.«
    Ich glaubte ihr nicht, doch war unübersehbar, dass sie sich selbst glaubte, was dazu führte, dass wir uns beide beruhigten.
    Zum Mittagessen teilten wir uns ein Sandwich. Hinterher gab ich ihr den Multifunktionsnocken. Es würde ihre Aufgabe sein, ihn auseinanderzunehmen und zu säubern sowie zu fotografieren und zu dokumentieren. Ein sehr schönes Geschenk.
    Am frühen Nachmittag kam die Sonne raus, und unsere Jalousien badeten plötzlich in Licht.
    Um fünf Uhr fragte sie, ob sie ›zu einem spießigen Umtrunk‹ gehen dürfe. Wer wollte schon wissen, wohin sie ging, doch ihre Augen waren klarer, heller, und ich strich ihr über die Angoraschulter.
    »Haben Sie sich gestern Abend noch die Bilder der Webcam angesehen?«, wollte ich wissen.
    »Glaub schon.«
    »Sehen sich die alle an? Ihre Freunde?«
    »Nicht alle.«
    »Es ist entsetzlich.«
    »Ja«, erwiderte sie. »Bitte, kann ich jetzt gehen, Miss Gehrig?«
    Als man den Verbrennungsmotor erfand, hatte man sich wohl kaum solch schreckliche Auswirkungen vorgestellt. Niemand war auf den Gedanken gekommen, dass wir damit nicht nur die Temperatur der Luft verändern, sondern auch die Meere totschwarz färben würden.
    Henrys Sägezahnschrift hatte Wurmlöcher in die Zeit gebohrt. Ich war dort gewesen, hatte miterlebt, wie Sumper den glänzenden Hals auspackte, hatte einen Blick auf Carls Spielzeug erhascht, als es am Gasthof vorbeidonnerte, auf seine voltaische Maus, den blauen Würfel, Thigpens gewaltiges Instrument, groß wie ein Elefant. Durch eines der strohhalmdünnen Wurmlöcher hatte ich all diese strahlenden, giftigen Erfindungen gesehen.
    Daheim setzte ich Wasser auf und stellte den Herd an. Ich wollte kochen. Trockne Nudeln, Sardinen, Kapern, altbackenes Brot, Olivenöl. Ich würde essen, kauen, ausscheiden.
    Dann klingelte es an der Tür – Eric, der kam, um sich seinen Würfel wiederzuholen. Ich deckte Teller und Gabel für ihn auf. »Nein, nein«, wehrte er ab.
    »Ich habe zu viel gekocht. Ich kann mich nicht umgewöhnen.«
    »Und ich bin zum Essen verabredet.«
    Trotzdem lud ich ihm auf. Ein Taschentuch verdeckte den blauen Würfel. Ich stellte ihn neben seinen Teller.
    Bestimmt, dachte ich, will er das Kornblumenblau

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